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Arbeitsmigration und moderne Lohnsklaverei - Pfarrer Peter Kossen referiert in Ibbenbüren

Die Situation von Leiharbeitern aus früheren Ostblockstaaten war am 23. Januar Thema eines Vortrags- und Diskussionsabends in der Alten Schule Ibbenbüren. Im Rahmen der Evangelischen Erwachsenenbildung und in Kooperation mit dem ökumenischen Netzwerk Asyl der Christus- und Ludwiggemeinde beleuchtete Peter Kossen, leitender Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde Seliger Niels Stensen aus Lengerich, Ladbergen, Lienen und Tecklenburg, verschiedene Facetten von Arbeitsmigration.

Vor allem EU-Bürger aus Rumänien und Bulgarien würden Opfer von Menschenhandel, wenn sie gutgläubig auf falsche Versprechungen betrügerischer Anwerber eingingen. Statt gerecht bezahlte Arbeit in deutschen Firmen zu finden, gerieten sie in die Fänge dubioser Leiharbeitsfirmen oder Subunternehmer. Dies hatte Kossen in vielen Gesprächen mit Betroffenen sowie bei Besichtigungen in Betrieben und Unterkünften selbst erfahren.

Aus seiner christlichen Grundhaltung heraus setzt er sich für faire Beschäftigungsbedingungen und eine angemessene Entlohnung ein. „Die Menschen kommen hierher, weil es Arbeit gibt, die gemacht werden muss“, stellte der Referent fest. Sie würden jedoch von ausbeuterischen Personaldienstleistern in die Fleischindustrie, Pflege, Landwirtschaft, Logistikbranche oder auf den Bau vermittelt. Für körperlich harte Maloche erhielten sie meist einen lächerlich geringen Lohn weit unter Tarif. Davon würden noch „Scheinschulden“ abgezogen, sodass der Verdienst kaum zum Leben reiche.

Eine menschenwürdige Wohnung zu finden sei unmöglich. Für viel Geld werden sie in vergammelten Sammelunterkünften zusammengepfercht; es entstünden Parallelgesellschaften mit gettoähnlichen Zuständen. Manche Menschen schliefen gar im Wald, wie Peter Kossen selbst gesehen hat. Unerträgliche Arbeitsverhältnisse, Strafgelder, psychischer Druck, unbezahlte Überstunden, fehlende soziale Absicherung, hohe Unfallgefahr und mangelnde Regenerationsmöglichkeiten führten bei den Menschen schon in jungen Jahren zu starken Abnutzungserscheinungen, beklagen Ärzte. Weil damit auf anderer Seite viel Geld zu verdienen ist, werde getrickst und geltendes Recht ausgehebelt, betonte Kossen.

Drastisch stelle sich auch die Position vietnamesischer Arbeitnehmer dar, die mit Hilfe von Schleuserbanden nach Deutschland gelangen. Sie sind besonders erpressbar, da sie sich illegal im Land aufhalten und keine Chance auf Asyl haben. Sie werden in Schlachthöfen oder als Zigarettenhändler ausgebeutet. Die hässlichste Seite dieser Form von Sklaverei sei die Zwangsprostitution, bei der schon minderjährige Mädchen mit Gewalt und Drogen gefügig gemacht würden. „Die Leute sind zwar aus freien Stücken hier, werden jedoch in Abhängigkeit getrieben und dort gehalten“, hob der Referent hervor. Er analysierte Ursachen und Folgen des Lohndumpings durch Leiharbeit, die Unternehmer von Verantwortung freispricht und die Stammbelegschaft erpressbar macht. „Menschen werden angemietet, verschlissen und dann entsorgt“, so sein bitteres Fazit. Ihnen schlügen zudem Verachtung und Diskriminierung entgegen, ihre Würde werde mit Füßen getreten. „Wegwerfmenschen“ nennt sie der Pfarrer.

Lösungsmöglichkeiten böten sich unter anderem durch bessere Information der Öffentlichkeit, Integrationsangebote, juristischen Beistand, Lohngerechtigkeit, Unfallschutz oder eine Kontrollbehörde gegen kriminelle Strukturen. Kossen sieht auch die Kirchen in der Pflicht, bei eigenen Beschäftigungsverhältnissen genauer hinzuschauen, fair einzukaufen und tarifliche Vereinbarungen einzuhalten. Die Kirchen seien bei dieser Problematik zu schweigsam, wurde in der Diskussion gesagt. Deshalb haben sich in Lengerich engagierte Bürger in dem Verein „Aktion Würde und Gerechtigkeit“ zusammengeschlossen. Das Netzwerk will den Rechtsweg für Arbeitsmigranten leichter zugänglich machen und deren oft menschenunwürdige Lebens- und Arbeitssituation verbessern, lautet das erklärte Ziel des Bündnisses. Die Teilnehmer der Runde waren sich einig, dass es nötig sei, Bürger, Unternehmen, Politiker und Kirchenvertreter für die Problematik zu sensibilisieren und stärker auf Veränderungen der menschenverachtenden Gegebenheiten zu drängen. “In der Gesellschaft ist das Bewusstsein verlorengegangen, dass dies keine legitimen Beschäftigungsverhältnisse sind“, erklärte Pfarrer Kossen. Er forderte die Einhaltung elementarer Menschenrechte und einen Systemwechsel.

Text: Brigitte Striehn

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