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Gedanken zu Karfreitag und Ostern

Superintendent André Ost legt den Predigttext zu 2. Korinther 5, 19-21 für den Karfreitag am 10. April 2020 aus. Die Welt kann uns feindselig gegenübertreten. Der Theologe Dietrich Bonhoeffer, der vor 75 Jahren starb, hat das am eigenen Leib erfahren. Der biblische Text spricht dagegen von Versöhnung: „Lasst euch versöhnen mit Gott“. Was könnte das nach Ostern für uns bedeuten?

Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.

So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!

Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.

(2. Korinther 5, 19-21)

 

Der 9. April ist für mich persönlich ein wichtiges Datum.

An diesem Tag wurde ich vor 25 Jahren zum Pfarrer unserer Kirche ordiniert. Das war in der Bonhoeffer-Gemeinde in Bielefeld.

Mein Festtag in dieser Gemeinde verband sich so ganz selbstverständlich mit dem Gedenken des 50. Todestages von Dietrich Bonhoeffer, einer der wichtigsten Theologengestalten des 20. Jahrhunderts.

Am 9. April 1945 wurde Dietrich Bonhoeffer im KZ Flossenbürg im Oberpfälzer Wald hingerichtet. Mit ihm starben sechs weitere Widerstandskämpfer gegen das Naziregime. Sie wurden im Morgengrauen nach einem nächtlichen Standgericht gehängt. Nur wenige Wochen vor Kriegsende. Zu einer Zeit, als sich die militärische Niederlage des Dritten Reiches schon längst abgezeichnet hatte.

Die Nazis verfolgten buchstäblich bis zur letzten Stunde Kritiker und Widerstandskämpfer. Das Regime nahm, den eigenen Untergang vor Augen, Rache an seinen Gegnern.     

Dietrich Bonhoeffer und seine Mithäftlinge starben durch den persönlichen Befehl Adolf Hitlers. Er wollte verhindern, dass sie am Aufbau einer neuen Regierung mitwirken konnten.

Dietrich Bonhoeffer gilt uns heute als christlicher Widerstandskämpfer. Das war nicht immer so. Im Nachkriegsdeutschland tat man sich lange schwer mit ihm. Besonders in der Kirche. Sein politisches Engagement während des Dritten Reiches war vielen suspekt. Seine Bereitschaft zum gewaltsamen Widerstand, zum Tyrannenmord, ging vielen zu weit. Das sahen sie nicht als Aufgabe der Kirche. Bonhoeffer wurde erst spät entdeckt und rehabilitiert. Heute tragen viele öffentliche Einrichtungen seinen Namen. Dass er heute fast zu einem evangelischen Heiligen stilisiert wird, hilft allerdings auch nicht weiter. Und ganz sicher auch nicht, dass sich unverschämterweise einige aus der sog. neuen Rechten auf ihn berufen, weil sie seinen Widerstandsgeist für ihre eigenen Zwecke missbrauchen.

Bonhoeffer eignet sich nicht für kontextlose Zitatbröckchen für den erbaulichen Wandkalender. Er ist eine schillernde Figur, die ganz in ihrer Zeit verortet war und für diese Zeit gedacht und gehandelt hat. Man kann ihn gar nicht verstehen, ohne sich inhaltlich mit ihm auseinandergesetzt zu haben. Denn Bonhoeffer war in erster Linie ein brillanter Theologe.

Noch in der Zeit seines politischen Widerstands nach 1939, als er Reisen zu den ökumenischen Partnern unternahm, um sie von einem anderen, besseren Deutschland zu überzeugen, arbeitete er intensiv an seinem theologischen Werk „Ethik“.

Das enthält einige bemerkenswerte Sätze, die uns auch für die Deutung der Verse aus dem 2. Korintherbrief helfen. Darin wird ja versucht zu erklären, was der Tod Jesu am Kreuz, sein Leiden und seine Auferstehung, was also das ganze Geschehen von Karfreitag bis Ostern eigentlich bedeutet.

 

Bonhoeffer schreibt dazu:

„Wer Jesus Christus ansieht, sieht in der Tat Gott und die Welt in einem, er kann fortan Gott nicht mehr sehen ohne die Welt und die Welt nicht mehr ohne Gott. Ecce homo – seht welch ein Mensch! In ihm geschah die Versöhnung der Welt mit Gott. Nicht durch Zertrümmerung, sondern durch Versöhnung wird die Welt überwunden. Nicht Ideale, Programme, nicht Gewissen, Pflicht, Verantwortung, Tugend, sondern ganz allein die vollkommene Liebe Gottes vermag der Wirklichkeit zu begegnen und sie zu überwinden. Es ist nicht eine allgemeine Liebesidee, sondern die wirklich gelebte Liebe Gottes in Jesus Christus, die das vollbringt. Diese Liebe Gottes zur Welt zieht sich nicht aus der Wirklichkeit zurück in weltentrückte edle Seelen, sondern sie erfährt und erleidet die Wirklichkeit der Welt aufs härteste. Am Leibe Jesu Christi tobt sich die Welt aus. Der Gemarterte aber vergibt der Welt ihre Sünde. So geschieht Versöhnung. Ecce homo.“

(Ethik, DBW Band 6, S. 69)

Jesu Sterben am Kreuz also ein großes Werk der Versöhnung. Ein Akt der Liebe Gottes. So versteht es der Apostel Paulus auch. Das gibt dem ganzen Geschehen eine Richtung. Es bekommt so eine Deutung.

Wenn man sich die Passionsgeschichte vergegenwärtigt, wenn man sie liest, vielleicht auch in einem Film künstlerisch aufbereitet sieht, dann wird einem die ganze Grausamkeit deutlich, die hier zum Zuge kommt. Die menschliche Niedertracht, der Jesus ebenso ausgeliefert war wie Dietrich Bonhoeffer und seine Mithäftlinge, die am 9. April 1945 starben. Es treibt einen fast zur Verzweiflung zu sehen, mit welcher Boshaftigkeit und Mitleidlosigkeit Menschen bisweilen mit ihresgleichen umgehen. Dieses Leiden erscheint so sinnlos. Leben wird auf brutalste Weise zu Ende gebracht. Der Gerechte muss leiden, die Gewalt triumphiert. Sie erweist sich in menschlichen Zusammenhängen mächtig. Und sie hat offenbar das letzte Wort.

Oder etwa doch nicht?

Paulus gibt dem Geschehen in Jerusalem 20 Jahre später einen Sinn. Was sich damals ereignete, so schreibt er nach Korinth, ist kein Zufallsgeschehen. Dieser Jesus ist nicht gescheitert. Er verschwand nicht von der Bildfläche. Er ist auch nicht nur irgendeine Person der Weltgeschichte.

Jesus Christus ist der Dreh- und Angelpunkt in der Geschichte Gottes mit uns Menschen!

Durch seinen Tod am Kreuz und seine Auferstehung am Ostermorgen wird uns nachträglich bewusst, welchen Plan Gott mit ihm verfolgte. Sein Weg ist Gottes Versöhnungsangebot an die Welt, an alle Menschen und darum auch an dich und mich.

 

Versöhnung? – Was hat das mit Karfreitag und Ostern zu tun? Und was hat es mit mir zu tun?

Nun, dazu braucht es zunächst einmal die Einsicht, dass diese Welt erlösungsbedürftig ist. Dass wir Menschen die Versöhnung brauchen. Und zwar nicht so eine Art Versöhnung, wie wir sie oft verstehen, wenn wir uns untereinander gestritten haben: Na gut, ich verzeihe dir. Vergessen wir’s und alles ist wieder gut. Und dann geht’s weiter bis zur nächsten Auseinandersetzung, bei der dann wieder alles aufbricht, was uns bis dahin an offenen Rechnungen geblieben ist.

Nein, die Versöhnung, die hier gemeint ist, geht viel tiefer. Sie betrifft unser ganzes Wesen und unser Verhältnis zu Gott. Das ist nämlich grundlegend beschädigt und von unserer Seite aus gar nicht zu kitten. Das kann nur Gott bewirken. Diese Art Versöhnung geht allein von Gott selber aus. Wir können sie nur staunend entgegennehmen.

Gottes Versöhnungswerk in Jesus Christus repariert die tiefe Gespaltenheit, die in uns selbst steckt. Sie ergreift unser Problem an der Wurzel: Unsere Angst, im Leben zu kurz zu kommen. Die Versuche, uns selber wichtig zu machen. Und die untaugliche Absicht, durch allerlei Selbstoptimierung bessere Menschen zu werden, möglichst ohne Gott. Diese Sünde der Selbstbezogenheit, die „incurvatio in se ipsum“, wie Martin Luther sie genannt hat, also das Kreisen des Menschen um sich selbst, das so viel Unversöhnlichkeit in die Welt bringt, diese Sünde hat Gott geheilt durch das Sterben und Auferstehen seines Sohnes Jesus Christus. Darin liegt der tiefe Wert des Ganzen.

Warum macht Gott das? Und warum braucht es dafür diesen grausamen Umweg über das Leiden eines Unschuldigen am Kreuz?

Das ist wahrlich schwer zu beantworten. Paulus – und mit ihm auch Bonhoeffer – sagen: Das geschieht aus Liebe. Gott selbst erleidet die Welt auf das härteste. Aber er ist bereit dazu, weil er die Welt mit ihm versöhnen möchte.

Das ist schwere Kost. Insbesondere für alle, die meinen, so etwas gar nicht nötig zu haben. Die sich immer gerne unschuldig reden und die Schuld vorzugsweise bei anderen suchen. Und die deshalb ihre Unzufriedenheit und den Ärger über nicht Gelungenes gerne auch bei anderen abladen. Es braucht also schon ein bisschen Einsicht in die eigenen Grenzen und in die eigene Bedürftigkeit, auf Vergebung angewiesen zu sein.

Wenn diese Einsicht bei uns ankommt, dann ist ein wichtiger Schritt gemacht. Dann können wir uns versöhnen lassen mit Gott.

Und das wird viel verändern. Denn dann leben wir nicht mehr nur auf uns selbst und unsere Bedürfnisse bezogen. Der Blick auf die Welt und auf das uns umgebende Leben bekommt eine neue Weite. Er wird geprägt sein von diesem Versöhnungsgedanken. Als Menschen, die mit Gott versöhnt sind, versuchen wir, diese Versöhnung aufzuspüren an allen möglichen Orten. Wir versuchen sie selber zu leben und werben als Botschafter an Christi statt für sie: „Lasst euch versöhnen mit Gott!“

Es ist eine spannende Frage, wie wir das umsetzen in den Tagen nach Ostern. Wie kommen wir heraus aus diesen außergewöhnlichen Tagen eines total gebremsten Lebensalltags im Zeichen der Corona-Krise? Warten wir nur darauf, dass es endlich wieder losgeht und alles im gewohnten Normaltempo seinen Fortgang nimmt?

Gab es in dieser Krise irgendetwas für uns zu lernen? Gibt es einen Nachklang von Einsicht, wo wir in unserem Drang nach möglichst umfassender Bemächtigung des ganzen Lebens vielleicht zu weit gegangen sind und einen Kurswechsel dringend nötig hätten? Gibt es Ansatzpunkte, an welcher Stelle wir versöhnter leben könnten mit uns selbst und unseren Gewohnheiten? Mit unseren Mitmenschen, den vertrauten und den fernen vor unseren Grenzen? Mit Natur und Klima?

Der Blick auf das Kreuz am Karfreitag ist nicht leicht auszuhalten. Es spiegelt uns Grausamkeit und Verlorenheit. Aber dieses Kreuz ist uns zum Heilszeichen geworden. Es wurde zum Pluszeichen der Liebe Gottes. Im Kreuz spiegelt sich deshalb gleichzeitig Leben, Neuanfang, Versöhnung.

Wer auf das Kreuz blickt, weiß sich versöhnt. Das ist ein Trost gebender Gedanke. Damit lässt sich leben. Und sogar mutig in den Tod gehen. Dietrich Bonhoeffer steht auch dafür. Die letzten Worte, die vor dem Transport ins KZ Flossenbürg von ihm überliefert sind, lauten: „Dies ist das Ende – für mich der Beginn des Lebens.“

Wenn das nicht ein bewundernswert starkes Zeichen für österliche Hoffnung ist.        

 

Glaubenssätze von Dietrich Bonhoeffer

Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.

Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.

Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten.

Ich glaube, dass Gott kein zeitloses Fatum ist, sondern dass er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.

 

Aus Dietrich Bonhoeffers Morgengebet

Gott, zu dir rufe ich am frühen Morgen.

Hilf mir beten und meine Gedanken sammeln;

ich kann es nicht allein.

In mir ist es finster, aber bei dir ist das Licht.

Ich bin einsam, aber du verlässt mich nicht.

Ich bin kleinmütig, aber bei dir ist die Hilfe.

Ich bin unruhig, aber bei dir ist Frieden.

In mir ist Bitterkeit, aber bei dir ist die Geduld.

Ich verstehe deine Wege nicht, aber du weißt den rechten Weg für mich.

Dreieiniger Gott,

mein Schöpfer und mein Heiland,

dir gehört dieser Tag.

Meine Zeit steht in deinen Händen.

Amen.

(geschrieben in den Novembernächten des Jahres 1943 im Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis Berlin-Tegel)

 

Vertrauensgedicht 

Von guten Mächten treu und still umgeben,

behütet und getröstet wunderbar,

so will ich diese Tage mit euch leben

und mit euch gehen in ein neues Jahr.

 

Noch will das alte unsre Herzen quälen,

noch drückt uns böser Tage schwere Last,

ach, Herr, gib unsern aufgescheuchten Seelen

das Heil, für das Du uns bereitet hast.

 

Und reichst Du uns den schweren Kelch, den bittern

des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,

so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern

aus Deiner guten und geliebten Hand.

 

Doch willst Du uns noch einmal Freude schenken

an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,

dann wolln wir des Vergangenen gedenken,

und dann gehört Dir unser Leben ganz.

 

Lass warm und hell die Kerzen heute flammen,

die Du in unsre Dunkelheit gebracht,

führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.

Wir wissen es, Dein Licht scheint in der Nacht.

 

Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,

so lass uns hören jenen vollen Klang

der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,

all Deiner Kinder hohen Lobgesang.

 

Von guten Mächten wunderbar geborgen,

erwarten wir getrost, was kommen mag.

Gott ist mit uns am Abend und am Morgen

und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

 

(Dietrich Bonhoeffer, in seinem Brief an Maria von Wedemeyer aus dem Kellergefängnis des Reichssicherheitshauptamts in Berlin, Prinz-Albrecht-Straße, Silvester 1944. Erstmals veröffentlicht 1951 in: Eberhard Bethge (Hrsg.), Dietrich Bonhoeffer. Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft.)

 

Links:

Gedanken zum Palmsonntag, 5. April 2020

Gedanken zum Sonntag Judika, 29. März 2020

Gedanken zum Sonntag Lätare, 22. März 2020

 

 

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Erstellungsdatum: 03.04.2020