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"Klug wie die Schlangen" - Ein Beitrag von Pfarrer i.R. Reiner Ströver

Obwohl ich mich schon lange mit der Bibel beschäftige, muss ich zugeben, dass mir einige Texte rätselhaft sind. Dazu gehört das Jesus-Wort „Seid klug wie die Schlangen“(Mt. 10,16), gesprochen bei der Aussendung der zwölf Jünger. Was hat Jesus damit gemeint? Dass er ihnen „Tauben“, Symbol für Frieden und für den Heiligen Geist, als Vorbilder nennt, verstehe ich aber ausgerechnet „Schlangen“? Weiß er denn nicht, dass in der „Schrift“ (AT) die Schlange für das Böse steht und dass es die Schlange war, die die aufgeweckte Eva und den schlichten Adam zum Sündenfall verführte?

Es geht jedoch nicht um die Bosheit sondern um die Klugheit der Schlange und davon können Menschen, die guten Willens sind, einiges lernen.

Nach langem Nachdenken fallen mir Schifra und Pua ein, zwei ägyptische Hebammen, von denen die Bibel in 2. Mose 1 erzählt. Der Pharaoh hatte angeordnet, dass sie bei der Geburt  von israelitischen Knaben dafür sorgen sollten, dass diese nicht am Leben blieben ; wogegen sie bei Mädchen ordentliche Geburtshilfe leisten sollten. Schifra und Pua widersetzten sich aus Ehrfurcht vor Gott und aus Ehrfurcht vor dem Leben dem Herrscher. Sie ließen die neugeborenen Jungen leben und erklärten es damit, dass die Israelitinnen schneller gebärten als die Hebammen eingreifen konnten. Der Mut und die Risikobereitschaft der Frauen hat Menschenleben gerettet.

„Klug wie die Schlangen“ waren auch Christ*innen in der DDR. Als Motto der Friedensdekade 1982 wählten sie den Bibelvers „Schwerter zu Pflugscharen“ (Micha 4,3). Diese politische Aktivität der Kirche gefiel dem DDR-Regime überhaupt nicht. Es verbot den Druck des Logos auf Flugblättern und Plakaten. Doch die Friedensbewegten ließen sich nicht beirren. Da es für den Druck auf Textilien keiner Druckgenehmigung bedurfte, war Vlies das Zauberwort. Zig Rollen Vlies wurden mit dem Bild des Mannes, der aus einem Schwert eine Pflugschar schmiedet und dem Bibelvers bedruckt. Viele, viele Jugendliche und Erwachsene nähten die Abzeichen auf ihre Jackenärmel und Schultaschen. Bis heute ist „Schwerter zu Pflugscharen“ das Motto der christlichen Friedensinitiativen.

„Klug“ im Sinne Jesu sind auch die Kirchengemeinden, die von der Abschiebung bedrohten Flüchtlingen Kirchenasyl gewähren. Kirchenasyl ist kein Widerstand gegen den Staat sondern die Inanspruchnahme des alten Interzessionsrechtes. Die Kirche tritt zwischen Staat und Flüchtling, eröffnet eine neue Gesprächssituation und die Möglichkeit zu überprüfen, ob es sich um einen Härtefall handelt oder nicht. Seit Februar 2015 gibt es eine Vereinbarung zwischen Staat und Kirche, dass das Kirchenasyl toleriert wird, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt werden. In diesem Zeitraum sind im ev. Kirchenkreis Tecklenburg 9 Kirchenasyle durchgeführt worden dazu noch einige in katholischen Gemeinden des Tecklenburger Landes. Auf diese Weise ist viel Leid und Ungerechtigkeit vermieden worden und-wie herrlich-die Schalenser freuen sich über die Geburt eines Kirchenasylbabys.

Gerade zu Corona-Zeiten haben viele Leute erstaunliche Klugheit und Kreativität bewiesen. Wenn sich dazu noch mutiger Einsatz für die Schwachen in unserer Gesellschaft und in der weiten Welt gesellt, dann sind wir „klug wie die Schlangen“.

Pfr. i. R. Reiner Ströver

Ibbenbüren-Laggenbeck

Dieser Text wurde als "Wort zum Sonntag" am 11. Juli in der Ibbenbürener Volkszeitung veröffentlicht.

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