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Verletzungen und Narben im Lebenslauf - Männnerfrühstück in Ibbenbüren

Als „schwerwiegendes Thema“ bezeichnete Reinhard Paul den Gegenstand des mittlerweile 16. Ibbenbürener Männerfrühstücks. Über 60 Teilnehmer hatten den Weg ins Gemeindezentrum blick.punkt an der Christuskirche gefunden, um Näheres zu Traumatisierungen, deren Auslösern und Symptomen zu erfahren. In einem geistlichen Impuls ging der Pfarrer im Ruhestand auf die Leidensgeschichte Nadia Murads ein, die als Jesidin vom IS verschleppt und missbraucht wurde.

Über die für ihr Engagement gegen den Terror mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Frau schlägt er dann einen Bogen hin zur biblischen Geschichte vom Jünger Thomas, der nach Jesu Kreuzigung schockiert ist, dass Gott dem Leiden seines Sohnes nicht Einhalt geboten hat. Doch erkennt er durch die Auferstehung seines Herrn, dass Gott sich nicht zu schade ist, die Wunden seiner Anhänger zu seinen eigenen zu machen. „Wir haben einen Gott, der mit uns leidet, der uns in den Verletzungen unseres Lebens begegnet“, bringt Paul diese Ostererfahrung auf den Punkt.

Bei Brötchen und Kaffee stärken sich die Anwesenden, bevor Prof. Gereon Heuft, promovierter Mediziner wie Theologe, das Mikrofon übernimmt. Der an der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie des Uniklinikums Münster Tätige veranschaulicht anhand vieler, teils schwer verdaulicher Beispiele, wie variantenreich ein Trauma sich in der Praxis gestalten kann. Ein solches ist die Folge eines kurzzeitigen oder länger dauernden belastenden Ereignisses, das außerhalb der üblichen menschlichen Erfahrungen liege und mit intensiver Angst und Hilflosigkeit verbunden sei. Die Auslöser könnten etwa der gewaltsame Verlust einer geliebten Person, die Schuld am Tod eines Anderen oder die Konfrontation mit verstümmelten menschlichen Körpern sein. Symptome eines solchen Traumas zeigten sich dann in sozialem Rückzug, ständigem Abdriften in Gesprächen, Phantomschmerzen und dauerhafter Angespanntheit. „Man ist niemals nur psychisch und niemals nur körperlich krank“, räumt Heuft mit einem weitverbreiteten Irrtum auf. Besonderes Interesse zeigt das Publikum an möglichen Therapiemaßnahmen: die drei Phasen Stabilisierung, Trauma-Bearbeitung sowie Rehabilitation und Reintegration seien der übliche Weg.

In Diskussionen an den Tischen tauschen sich die Männer über das Gehörte aus, bis sich Heuft im zweiten Teil des Vortrages konkreter den Folgen schwerer Traumatisierungen während des Zweiten Weltkriegs widmet. Für die Jahrgänge 1930 bis 1945 gehe die Forschung von einem Drittel psychisch stark belasteter Kinder aus – tatsächlich erinnern viele ältere Zuhörer sich an Bombennächte oder die Flucht und Vertreibung aus der alten Heimat. Besonders im Alter komme es nicht selten zu einer Trauma-Reaktivierung – auch wenn der Betroffene vorher jahrzehntelang beschwerdefrei gelebt habe. Als Grund dafür führt Heuft die Zunahme an Freizeit während der Rente an, während derer die Gedanken weniger Ablenkung hätten als noch im Berufsleben, aber auch das sogenannte „Last-chance“-Syndrom, also die als letzte Gelegenheit empfundenen Jahre vor dem Tod, traumatische Erfahrungen nicht mit ins Grab zu nehmen, sondern anderen anzuvertrauen.

Schlussendlich warnt Heuft in der Abschlussfragerunde davor, den Begriff Trauma als „Modewort“ zu inflationär zu benutzen. Das sei zwar attraktiv, da es die Schuld an einer Situation ausschließlich anderen zuweise, entspreche aber häufig nicht der Realität. Wo ein tatsächliches Trauma vorliege, seien die Trauma-Ambulanzen des Landes NRW oft erster Ansprechpartner, so auch in Münster. Diese seien vom Staat für solche Patienten geschaffen worden, die nach dem Opferentschädigungsgesetz Anspruch auf eine psychotherapeutische Notfallversorgung hätten, weil der Staat die Schutzpflicht für seine Bürger in der Trauma-Situation nicht wahrgenommen habe. Seit kurzem seien diese Einrichtungen auch für Kriegsflüchtlinge mit ihrem besonderen psychosozialen Unterstützungsbedarf zugänglich.

Mit großer Freude nahmen die Anwesenden zur Kenntnis, dass das 17. Männerfrühstück bereits in Planung sei.

Text: Dario Sellmeier

 

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