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Voll ausgebremst - Kirchenmusik in Corona-Zeiten - Gedanken von Kreiskantor KMD Martin Ufermann Anfang Mai 2020

Voll ausgebremst in die Generalpause – tacet. Das gilt nun schon seit über sieben Wochen für die Kirchenmusik. Keine Gottesdienste, keine Chor- und Bläserproben, keine Konzerte, kein Singen in den Gemeindegruppen oder in den Kindergärten. Es ist still geworden in unseren Kirchen und Gemeindehäusern, Seniorenheimen und Kindertagesstätten. Shut- und Lockdown von einem auf den anderen Tag, kein Osterjubel, keine Konfirmation mit fetziger Gospel- oder Bandmusik, keine Trauung mit festlichem Orgelklang.

Viele spüren und merken in dieser Situation des Verlustes, welchen Schatz wir an der Kirchenmusik in unserer Kirche haben, am gemeinsamen Singen und Musizieren im Gottesdienst, am wundervollen Klang der Orgel, der „Königin der Instrumente“, an den vielen unterschiedlichen Konzerten von der Oratorium-Aufführung, dem Konzert des Kinder-, Kirchen- oder Posaunenchores bis hin zum Gospelkonzert des Jungen Chores. Alles das schien lange selbstverständlich.

Für viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene sind das regelmäßige Proben in den Chören und vor allem die Chorgemeinschaft wichtige und liebgewonnene Ankerpunkte in ihren Kirchengemeinden und ein unverzichtbarer Termin in ihrem Wochenplan. Ja, sie sind ein „Lebensmittel im wahrsten Sinne des Wortes“, so hat gerade Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Kunst und Kultur bezeichnet. Dass dieses Lebensmittel „gemeinsames Singen“ im Chor, in der Gemeindegruppe oder auch in unseren Gottesdiensten nicht nur, wie uns die Wissenschaft immer wieder bestätigt, reichlich Glückshormone produziert, sondern auch Aerosole in die Atemluft verströmt, das sind kleineste Schwebepartikel, die Coronaviren enthalten können, wird ihm nun in Corona-Zeiten für eine nicht absehbare Zeit zum Verhängnis. Denn so können beim Singen mit der Atemluft infektiöse Tröpfchen in einen einige Meter weiten Umkreis abgegeben werden und sich in der Raumluft stark anreichern. Damit entsteht ein deutlich erhöhtes Ansteckungsrisiko, dem wir gerade ältere Chormitglieder keinesfalls aussetzen dürfen.

In den soeben vom Land NRW herausgegebenen Richtlinien zur Wiederaufnahme des Einzelunterrichtes in den Musikschulen wird darum nicht ohne Grund für die „atmungsaktiven“ Fächer wie Gesang und Blasinstrumente eine Raumgröße von mindestens 10m² pro Person vorgeschrieben.

Also und weil Singen mit Gesichtsmasken nun mal gar nicht geht: bis auf Weiteres kein Gemeindegesang in Gottesdiensten, keine Chorproben, keine Konzerte mit Chören, Bläsern und Orchestern. Das ist schmerzlich und frustrierend für alle Chormitglieder, Konzert- und Gottesdienstbesucher und vor allem auch für uns Kirchenmusiker, denn es gibt momentan und in absehbarer Zeit absolut keine verlässlichen Aussagen darüber, wann jemals wieder das Singen und Musizieren in größerer Runde möglich sein wird. So leben wir in Zeiten der Pläne B, C und vielleicht auch D für Konzerte und andere musikalische Projekte. Wann, wie und ob es gelingen wird, den Faden in den Chorproben wieder aufzunehmen und in die alte Dynamik eines Probenprozesses zurückzukehren, ist absolut ungewiss. Das betrübt Chorleiter*innen wie Chorsänger*innen in gleicher Weise. Natürlich wird versucht, über die digitalen Möglichkeiten, die sich uns heute u.a. in Form von WhatsApp-Gruppen, Mailverteilern, Clouds und Proben über Zoom oder Skype bieten, den Kontakt untereinander zu halten, das gemeinsame Proben in der Chorgemeinschaft, das Eingeführt-Werden in ein Musikstück welcher Art auch immer durch die Chorleiterin oder den Chorleiter und die persönliche Begegnung können diese Hilfsmittel alle nicht ersetzen, das haben die Erfahrungen der ersten Wochen gezeigt. Und ich nehme im Augenblick auch eine um sich greifende „Corona-Müdigkeit“ wahr, was die Versuche der digitalen Gemeinschaftsbildung betrifft. Die Zahl der Chats und geteilten Videos nimmt spürbar ab.

Auf der anderen Seite hat mich als mittsechziger Nicht-Facebooker eine andere Erfahrung schon überrascht: Eine von mir im Rahmen einer Gemeinschaftsaktion auf meiner Stadtkirchenorgel eingespielte und mit einem Handy festgehaltene Version von Beethovens Ode „Freude schöner Götterfunken“ hat in kurzer Zeit über die sozialen Medien fast weltweit ihre weiten Kreise gezogen. Über die Facebook-Seite unserer Kirchen- und dann auch Kommunalgemeinde, die BBC in Birmingham bis zu Auswanderfamilien nach Kappeln (Missouri/USA) wurde das Video zigfach geteilt und rief zahlreiche Rückmeldungen der Dankbarkeit und Rührung hervor („wie schön, in dieser Kirche bin ich mal getauft worden, danke…“ schrieb z.B. jemand aus Hamburg).

Kirchenmusik in Corona-Zeiten – voll ausgebremst, aber gleichsam mit angezogener Handbremse zumindest in den sozialen Netzwerken und auch z.B. bei den schön gestalteten Fernsehgottesdiensten mit kleinen Minimalbesetzungen präsent. Mit der bevorstehenden, eher noch zaghaften Wiederaufnahme der Präsenzgottesdienste in unseren Gemeinden unter besonderen hygienischen Bedingungen steht die Kirchenmusik bei den sehr begrenzten Möglichkeiten nun vor besonderen Herausforderungen bei der Gottesdienstgestaltung.

In Zeiten der auferlegten Entbehrungen entdecken wir momentan neu, was uns wirklich wichtig ist, wovon wir leben, was unsere „Lebensmittel“ für Herz, Geist und Seele sind. Dies gilt auch für die Kirchenmusik. Hoffen wir, dass wir bald auch in der „neuen Normalität“, wann und wie auch immer, wieder vollumfänglichen Zugriff darauf haben können und ihren Wert für uns als großes Geschenk neu spüren, erfahren und begreifen dürfen.

 

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