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„Bedingungsloses Grundeinkommen“ bietet Chance auf „familiale Gemeinschaft“

Wenn nur die Erwerbsarbeit eine Bedeutung habe, werde alles andere wie Haushalt, Familienarbeit oder ehrenamtliche Tätigkeit abgewertet, macht Dr. Sascha Liebermann deutlich. Der Professor für Soziologie sprach Mitte November im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Politische Bildung – Herausforderung Demokratie“ der Evangelischen Erwachsenenbildung im Kirchenkreis Tecklenburg und der Evangelischen Kirchengemeinde Westerkappeln zum Thema „Bedingungsloses Grundeinkommen - Faulheitsprämie oder realistische Antwort?“ und führte im Dietrich-Bonhoeffer-Haus aus, warum er die Zahlung eines „BGE“ zur Sicherung des Existenzminimums für sinnvoll hält.

Das Volumen der unbezahlten Arbeit sei riesig, gerade bei Frauen die Altersarmut deshalb besonders hoch. „Das können wir uns offenbar leisten“, kritisiert er das System, aber auch die Forderung, dass Frauen noch früher und noch mehr arbeiten sollen. Die Kinder gingen in die Einrichtung, das Familienleben bleibe auf der Strecke, was für Männer schon immer so gewesen sei, gelte dann auch für Frauen. „Gespenstisch, oder“, gibt Liebermann zu bedenken.

Und wenn nichts mehr jenseits der Erwerbstätigkeit gelte, gebe es auch keine Freiwillige Feuerwehr, keinen Sportverein, keine Parteien, keine Kirchen mehr, spinnt er den Faden zum Schreckensszenario weiter.

Geld also für alle? Geld, ohne dass man dafür arbeiten muss? Seit Jahren wird nicht nur in der Politik, sondern auch in der Gesellschaft über ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) zur Sicherung des Existenzminimums gesprochen. Was die einen herbeisehnen, ist für die anderen eine Horrorvorstellung. Diskussionen zum Thema werden meist kontrovers und emotional geführt. Auch den Besuchern in Westerkapeln schmeckte nicht alles, was Liebermann zum Bedingungslosen Grundeinkommen für alle sagte.

Liebermann ist auch Mitbegründer der Initiative „Freiheit statt Vollbeschäftigung“, die sich seit Jahren für ein BGE stark macht. Mit der Zahlung eines BGE an alle Bürger könne der Sozialstaat modernisiert, auf ein der Demokratie gemäßes Fundament gestellt werden, ist der Referent überzeugt. Er bemängelt die Systeme sozialer Sicherung, die nicht den Bürger, sondern nur die Erwerbstätigen in den Fokus nähmen. Das Fundament der politischen Grundordnung, der Demokratie, seien aber die Bürger, nicht die Erwerbstätigen. Das BGE sieht er als ein Mittel, den Sozialstaat dahingehend weiterzuentwickeln, dass er besser zur Demokratie passt.

Ein ausreichend hohes BGE – Liebermann spricht von 1000 bis 1200 Euro pro Bürger - biete Eltern und Kindern, besonders Alleinerziehenden die Chance auf „familiale Gemeinschaft“, die Möglichkeit zu wählen, wie viel Zeit sie miteinander verbringen möchten. Aus Maßnahmen würden Angebote, zudem rückten die Bürger statt der Erwerbstätigen ins Zentrum. Wenn jemand seinen Job verliere, drohe nur der Verlust einer Einkommensstelle, nicht der des Status.

Das Argument, das BGE sei nicht zu finanzieren, hält er der Soziologe für vorgeschoben. „Wenn man das will, führt man das ein“, stellt er fest. Da sei inzwischen etwas in Bewegung, beobachtet er, dass sich die Parteien mehr mit dem Thema beschäftigen.

Text: Dietlind Ellerich

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