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Christliche Freiheit in der Corona-Krise

Nachfolgend lesen Sie eine Predigt von Pfarrer i.R. Detlef Salomo aus Lotte: "Es gibt viele große Worte: Liebe, Treue, Glück, Frieden. Eines der größten ist das Wort Freiheit, sie zählt zu den höchsten Gütern der Menschheit. Friedrich Schiller schreibt: „Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei, und wär er in Ketten geboren.“ Die Französische Revolution zerbrach die Ketten der Unterdrückung, in dem sie die Freiheit auf ihre Fahnen schrieb.

Die Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King forderte die Freiheit für die schwarze Bevölkerung, in zahlreichen Resolutionen ist sie enthalten, in unserem Grundgesetz verankert, auch Bestandteil unserer Nationalhymne: „Einigkeit und Recht und Freiheit.“ In der ehemaligen DDR haben sich die Menschen die ersehnte Freiheit mit friedlichen Mitteln – einmalig in unserer Geschichte – erkämpft und eine Diktatur zum Einsturz gebracht.

In Belo-Russland gehen sie dieser Tage zu tausenden auf die Straße und begegnen dabei einer brutalen Staatsgewalt, die wahllos verprügelt, verletzt, verhaftet, Bilder, die in unserem Land undenkbar wären.  Aber auch wir haben schon einige Demonstrationen gehabt gegen die „Corona-Diktatur“ – wie es auf Plakaten stand -, gegen die Einschränkungen unserer gewohnten Freiheiten. Auf Anraten von Virologen und Gesundheitsämtern beschlossen die Regierungen in einem so noch nie da gewesenen Krisenmanagement drastische Maßnahmen, die auch Grundrechte berührten. Wir mussten auf Liebgewordenes, auf gewohnte Selbstverständlichkeiten verzichten: Theater, Kinos, Museen, Gaststätten, Schwimmbäder, Fußballstadien, nicht zuletzt, die Freiheit zu reisen.

Unsere Kirchengemeinden hat es besonders hart getroffen: Die regelmäßigen Gruppen mussten ausfallen, die Chöre ihre Proben einstellen, die Konfirmationen und Jubiläen wurden verschoben, sonntags blieben Kirchentüren geschlossen. Die Versammlung der Gemeinde, die Feier des Gottesdienstes und der Sakramente, die Predigt des Evangeliums – alles war verboten. Das geht an die geistliche Substanz, an den wesentlichen Auftrag der Kirche, an ihr reformatorisches Selbstverständnis, an die eigene Glaubwürdigkeit, wenn es nicht einmal erlaubt ist, Alte und Einsame zu besuchen, Kranke und Sterbende zu begleiten. Das berührt unsere Rechtsordnung: Darf man die Freiheit der Religionsausübung so einschränken, ja außer Kraft setzen? Darf man im Namen des Infektionsschutzgesetzes wirklich alles als verzichtbar hinnehmen, was dann im Vergleich zu offenen Baumärkten doch erstaunlich anmutet? Darf der Eindruck entstehen, die Kirche sei nicht „systemrelevant“, nicht wahrnehmbar und abgetaucht?

Und umgekehrt: Ist die Kirche nicht gerade dann unentbehrlich, wenn „die Not am Größten ist“, die Not einer ganzen Gesellschaft und eines jeden Einzelnen? Wenn es um Leben und Tod geht, um die Suche nach Trost und Hoffnung? Die Lage ist weiterhin sehr ernst und gewiss nicht zu verharmlosen! Nur wie gehen wir mit dieser für uns alle noch nie dagewesenen Herausforderung um? Konkret: Wie verhalten sich der Schutz der Gesundheit und die Freiheit des Glaubens zueinander? Machen wir uns klar: Es ging bei all den beschlossenen Maßnahmen darum, dass Tempo der Ansteckung zu verlangsamen, damit unser Gesundheitssystem nicht einbricht.

Die Mehrheit hat die Einschränkungen der gewohnten Freiheiten akzeptiert, sich an Regeln gehalten, aus Einsicht, ohne Zwang, aus Solidarität mit den Kranken und Schwachen, die am ehesten gefährdet sind, sicher auch aus Angst angesichts der erschreckenden Bilder aus anderen europäischen Ländern. Und nicht zu vergessen: Aus einem spontanen Gefühl der Dankbarkeit erfuhren Ärzte, Schwestern und Pfleger für ihr beinah übermenschliches Engagement, in dem noch kein Ende abzusehen ist, eine ganz neue Beachtung, Anerkennung und Wertschätzung. Wir haben aber auch die Kehrseite erlebt: Den Egoismus unsozialer Hamsterkäufe, die Ignoranz und Rücksichtslosigkeit der Corona-Leugner, die Zunahme von Aggression und Gewalt, die zahlreichen Verschwörungstheorien im Internet.

„Menschen“, so erklärt uns ein Psychologe, „die unter Druck geraten oder in Furcht sind, neigen zu extremen Meinungen und Verhaltensweisen.“ So gibt es rund um das Virus die wildesten Spekulationen: Eine Erfindung von Bill Gates, eine Strafe Gottes, eine Biowaffe der CIA, eine Laborzüchtung aus Wuhan. In den Niederlanden haben einige die Strahlung als Ursache des Virus ausgemacht und gleich mehrere Mobilfunkmasten zerstört. Andere leugnen einfach die gesundheitlichen Gefahren und halten den Lockdown für einen gemeinen Komplott, beschwören das Ende unserer Freiheit, demonstrieren ohne Schutz und Abstand mit provokanten Parolen: „Schluss mit der Virologen-Diktatur!“ „ Masken sind Folter!“ „Keine Isolationshaft!“ „Endlich wieder Urlaub auf Mallorca!“

Liebe Gemeinde, das wird deutlich: In der Corona-Krise prallen auf einmal unterschiedliche Vorstellungen von Freiheit aufeinander. Dabei kommt auch ein altes Missverständnis wieder hoch, nämlich tun und lassen können, was man will, ungehindert nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu leben, möglichst frei sein von allen Vorgaben, Verpflichtungen und Bindungen. Nicht allen gefällt es, dass sie sich in einem kollektiven Abhängigkeitsverhältnis befinden, dass bestimmte Pflichten und Regeln auferlegt, sei es nur das Tragen einer Maske. Dabei schließen sich Abhängigkeit und Freiheit keineswegs aus.

Fürsorgebeziehungen, wie etwa zwischen einer Mutter und ihrem Kind oder zwischen einem Pfleger und einem Pflegebedürftigen, sind zwar in hohem Maße von Abhängigkeit bestimmt, aber wer wollte bestreiten, dass in ihnen kostbare Freiheitserfahrungen möglich sind. Auch die Entscheidung, mich zu einer Aufgabe zu verpflichten, in dem ich ein Ehrenamt übernehme, kann ich trotz der damit verbundenen Einschränkung als Sinn stiftend und befreiend erfahren. Die Corona-Krise macht uns gerade deutlich, wie sehr Freiheit und Schutz, Selbstständigkeit und Abhängigkeit miteinander verbunden sind. Denn die trotzige Haltung vernünftige staatliche Anordnung abzulehnen, könnte dazu führen, zahlreiche Menschen ihrer Freiheit, ihrer Gesundheit und ihres Lebens zu berauben.

Was aber sagt die Bibel über die Freiheit? Davon erzählt sie schon auf den ersten Seiten. Sie beginnt damit, dass Gott aus freiem Entschluss die Welt ins Dasein ruft. „Gott und die Freiheit“ ist von Anfang an das Thema. Den Menschen schafft er als Gegenüber, „zum Bilde Gottes“ heißt es, autonom, selbstständig, ausgestattet mit Verstand und Gefühl, begabt mit Fantasie, frei in seinen Entscheidungen, fähig zur Liebe, das Menschlichste am Menschen. Es ist ihm möglich, Neues zu denken, sein Leben und seine Welt eigenverantwortlich zu gestalten, die Erde im guten Sinn als Lebensraum zu bebauen und zu bewahren, aber auch auszubeuten und zu zerstören, wie wir es in einem heute noch nie dagewesenen Ausmaß erleben. Er kann eben immer auch anders, hat alternative Möglichkeiten, er ist nicht nur gesteuert und fremdbestimmt. Diese Freiheit ist nur deshalb denkbar, weil Gott sie überhaupt erst möglich gemacht hat, sie ist ein Geschenk, dass unsere Größe und Würde als Menschen auszeichnet.

Wie aber gehen wir, das ist die entscheidende Frage, mit dem Geschenk der Freiheit um? Um das zu erfahren, schlage ich im Neuen Testament nach und finde im Galaterbrief einen prägnanten Satz, der den meisten bekannt sein dürfte: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit!“ Der Apostel Paulus gibt damit der Freiheit eine herausragende Bedeutung, eine besondere Ausrichtung und Qualität. Es geht nicht nur um die Freiheit schlechthin, als hohes Ideal, als allgemeines Menschenrecht. Gemeint ist die „Freiheit eines Christenmenschen“ von der Martin Luther geschrieben hat „er sei ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan“ und dann in scheinbarem Gegensatz, „ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan“. Wofür sind wir frei? Wofür sind wir durch Christus befreit? Ich denke, dass wir in dieser Frage den Sinn der christlichen Freiheit verstehen, ihre Bedeutung, ihre ganz andere Blickrichtung. Sie ist eine echte Alternative zum weitverbreiteten Gebrauch in unserer Gesellschaft: Nicht die demonstrative Nutzung ohne Rücksicht auf die Folgen. Nicht das pure Durchsetzen der eigenen Interessen und Bedürfnisse. Nicht die bloße Handlungs- und Wahlfreiheit ohne Respekt und Anteilnahme. Nein, kein leichtsinniges Leben nach Lust und Laune.

Wenn nicht nur ich frei sein will, sondern auch alle anderen Menschen frei sein sollen, dann kann ich Schutz und Freiheit nicht voneinander trennen. Die christliche Freiheit fügt niemandem Schaden zu. Das ist auch der Grund, weshalb Paulus im gleichen Kapitel einige Verse weiter, das Wort Freiheit durch das Wort Liebe ergänzt und kommentiert: „Seht zu, das ihr eure Freiheit nicht für euren Egoismus ausnutzt, sondern durch die Liebe diene einer dem anderem.“ Das also heißt unser Freisein in der gegenwärtigen Situation: Befreit von Christus von der Sorge um mich selbst, ungehindert für den anderen da sein, alles tun, was für ihn hilfreich und heilsam ist – im wahrsten Sinne des Wortes. Durch eine solche mit dem Maß der Nächstenliebe ausgefüllte Freiheit kann es uns gelingen, diese schwere Zeit zu bestehen und auch mit Abstand und Distanz unseren menschlichen Zusammenhalt zu festigen, den wir gerade jetzt so dringend brauchen".

Pfarrer i.R. Detlef Salomo, Lotte

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