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"Ein Haus der Barmherzigkeit" - Kriegserfahrungen mit dem von-Bodelschwingh-Krankenhaus von Pfarrer i.R. Reinhard Paul

Im Dezember 2020 wurde das Ev. Bodelschwingh-Krankenhaus Ibbenbüren geschlossen. Hintergrund dieser Maßnahme ist die Umwandlung des Ev. Krankenhauses Ibbenbüren in die Einhäusigkeit. Von Anfang an ist die Geschichte des Bodelschwingh-Krankenhauses mit den Schwestern des Diakonissenmutterhauses Münster verbunden. Pfarrer i.R. Reinhard Paul war von 1975 – 2000 als Gemeindepfarrer und Seelsorger in der Klinik tätig. Er erinnert sich im folgenden Bericht an eine bewegende Begebenheit im 2. Weltkrieg:

Es ist das Jahr 1944. Die Alliierten sind im Anmarsch. Englische Bomberverbände laden ihre tödlichen Frachten über den deutschen Großstädten ab. Die deutsche Zivilbevölkerung flieht in die Luftschutzbunker. Frühzeitig versucht die deutsche Wehrmacht, die englischen Flugzeuge vom Himmel zu holen. So kommt es zum Abschuss englischer Bomber über der holländischen Stadt Arnhem. Die englischen Offiziere können sich mit dem Fallschirm retten. Schwer verletzt gelangen sie in die Hände der deutschen Feinde. Auf diesem Weg kommen sie nach Ibbenbüren.  Das Ev. Krankenhaus ist inzwischen teilweise zu einem Not-Lazarett für verwundete Soldaten umfunktioniert worden. Ein extremer Pflegenotstand: Englische und deutsche Soldaten miteinander unter einem Dach. Wie soll das gehen?

Schwester Hedwig handelt nach dem Gesetz der Diakonie

Eine Schwester aus dem Diakonissenmutterhaus Münster hat das Sagen. Aber nicht uneingeschränkt. Für die Versorgung und Pflege der Engländer ist alles klar geregelt. Eine "ärztlich sachliche, aber menschliche kühle Behandlung" das ist der Befehl von oben. Und es gilt den Anordnungen der Partei auf Gedeih und Verderb Folge zu leisten. Doch Schwester Hedwig und ihre Mitschwestern denken nicht daran. "Sie handeln nach dem Gesetz der Diakonie und pflegen die gefangenen Engländer, wie alle Verwundeten und Kranken in schwesterlicher Liebe. Sie verschaffen Ihnen Erleichterungen, wo sie nur können, sie sorgen für englische Lektüre und schaffen am Weihnachtsabend, als die Amtswalter der Partei nur die deutschen Soldaten besuchen und beschenken auch den Engländern eine Weihnachtsbescherung mit Stechpalmen, Mistelzweigen und bunten Tellern."

Im Frühjahr 1945 tobt ein erbitterter Kampf zwischen den anrückenden Engländern und den Deutschen unmittelbar vor den Toren von Ibbenbüren. Der Dörenther Berg wird zur Front. Von dort aus wird auch die Stadt unter Beschuss, eine lebensbedrohliche Gefahr auch für alle verwundeten Soldaten in dem Lazarett des Ev. Krankenhauses.

Es ergeht der Befehl, die deutschen Soldaten in den Luftschutzkeller zu bringen. Aber nur die deutschen. Die englischen Soldaten sollten auf ihrer Station bleiben. Wieder ergreifen die Schwestern die Initiative und bringen alle Kranken in den schützenden Bunker. Als die alliierten Verbände in Ibbenbüren eintreffen, werden die verwundeten englischen Soldaten an den eigenen Sanitätsdienst übergeben.

Der verwundete englische Offizier hat sie nicht vergessen

Damit könnte diese Geschichte zu Ende sein. Ist sie aber nicht. Nach Kriegsende kehrt Schwester Hedwig in das Diakonissenmutterhaus nach Münster zurück, um im Feierabend-haus ihren Ruhestand zu verbringen. Regelmäßig erhält sie englische Post. "Die Briefe tragen als Absender "House of Commons" (Bezeichnung für das englische Parlament) und "Treasury Chambers" (Bezeichnung für das Schatzkanzleramt). Bei den Briefen befinden sich auch ein paar Bilder. Darunter auch ein Herr in prunkvoller Uniform neben der englischen Königin, im Kreise der Minister."

"Ja", sagt Schwester Hedwig beim Erzählen, "das ist mein verwundeter englischer Offizier Heathcoat Amory. Er ist jetzt Schatzkanzler, ein ganz großer, hoher Mann in England. Aber er hat mich nicht vergessen… Er schreibt immer wieder, und diese schöne Brosche hat er mir als Zeichen seiner Dankbarkeit geschenkt."  Sein Dank findet sich auch in einem Weihnachtsbrief, in dem er schreibt: „…. meine Kameraden und ich danken Ihnen…,als Mitglied der Regierung habe ich sehr viel Arbeit und kann es mir nicht erlauben, wie einst in Ibbenbüren unter Ihrer Fürsorge so behütet jeden Tag im Bett zu liegen, aber ich denke an Sie und danke Ihnen für die Pflege, mit der Sie uns umgaben."  Er verspricht, sie in Deutschland zu besuchen und denkt daran sie nach England einzuladen.  Doch dazu kommt es nicht mehr. Am 25. Juni 1960 stirbt Schwester Hedwig in Münster.

Die Soldaten waren dankbar für die gütige Betreuung

Trauer und Schmerz des englischen Schatzkanzlers finden ihren bewegenden Ausdruck in dem Brief, den er aus Anlass dieses Todes an das Mutterhaus schickt. In ihm lese ich: "Ich werde immer traurig sein, dass ich es nicht mehr habe möglich machen können, ihr einen Besuch nach hierher zu bezahlen. Meine Kameraden und ich werden nicht aufhören, dankbar zu sein für die gütige Betreuung, die uns Schwester Hedwig in ihrem Hause der Barmherzigkeit unter besonders schwierigen Verhältnissen hat angedeihen lassen. Sie hat alles riskiert und sich nicht geschont, unser Leben zu schützen."

Erst später erhielt das von Bodelschwingh-Krankenhaus seinen Namen, aber der Geist der grenzenlosen Liebe hatte schon zuvor diesem Haus ein Gesicht gegeben. Da gab es Menschen, die dies gelebt haben, was Friedrich von Bodelschwingh einmal so ausgedrückt und danach gelebt hat:  "Es geht niemand über diese Erde, den Gott nicht liebt".

In einer Zeit, in der die egoistischen Interessen der Völker und Nationen, den Zusammenhalt der unterschiedlichen Kulturen und Weltanschauungen gefährdet  und die zentrifugalen Kräfte auch an  unserem europäischen und globalen Zusammenhalt zerren und das menschliche Miteinander auf Spiel setzen, brauchen wir solche Bausteine einer lebendigen Erinnerung. So ist diese Geschichte ein Baustein gegen das Vergessen.

(Die Zitate stammen aus dem Mitteilungsblatt des Diakonissenmutterhauses Münster aus dem Jahre 1960).

Bericht: Pfarrer i.R. Reinhard Paul

 

 

 

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