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"Flüchtlingsarbeit gehört zur Gemeindearbeit dazu"- Pfarrerehepaar Annette und Roland Wendland im Gespräch

Die Flüchtlingsarbeit ist für Annette und Roland Wendland und ihre Kirchengemeinde in Schale ein Herzensanliegen. Sie werden dabei vom Presbyterium und vielen Menschen unterstützt. Roland Wendland ist Flüchtlingsbeauftragter des Ev. Kirchenkreises Tecklenburg. Öffentlichkeitsreferentin Christine Fernkorn interviewte das engagierte Ehepaar:

Wie begann Ihre Flüchtlingsarbeit?

Roland Wendland:

2015 saß ein uns noch unbekanntes iranisches Ehepaar im Gottesdienst in Schale. Die beiden wurden von der Gemeinde begrüßt und kamen von da an regelmäßig. Sie waren bereits Christen. Gleichzeitig informierte uns auch die Kommunalgemeinde Hopsten darüber, dass weitere Flüchtlinge nach Hopsten und auch in den Ortsteil Schale kommen würden. Wir luden daraufhin unsere Gemeinde zu einer ersten Informationsveranstaltung mit dem Leiter des Sozialamtes ein, der für die Flüchtlinge in Hopsten zuständig ist. Damit war sozusagen die Flüchtlingsarbeit geboren.

Annette Wendland:

Und auch schon sehr früh haben wir uns im Presbyterium mit dem Thema Kirchenasyl“ beschäftigt. Der Kirchenkreis Tecklenburg hatte damals an alle Gemeinden appelliert, für den Fall des Falles über die Möglichkeit eines Kirchenasyls nachzudenken.

Und mittlerweile haben Sie schon mehrere Kirchenasyle durchgeführt? Wie kam es dazu? Was ist der Anlass, dass Menschen in der Kirchengemeinde Schale Kirchenasyl suchen und bekommen?

Roland Wendland:

Ja, bei uns kam es dann schon ziemlich schnell 2016 zur ersten Kirchenasylanfrage und mittlerweile haben wir schon eine ganze Reihe von Kirchenasylen durchgeführt. Zurzeit sind gerade acht Menschen da: eine sechsköpfige kurdische Familie, ein Mann aus Guinea und einer aus dem Irak. Hintergrund eines Kirchenasyls ist immer das Dublin-Verfahren.

Können Sie das kurz erläutern?

Roland Wendland:

Wenn die geflüchteten Menschen einen Asylantrag in Deutschland stellen, wird vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zunächst geprüft, ob Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens überhaupt zuständig ist. Hat der Geflüchtete – oft unfreiwillig – bereits in einem anderen EU-Land einen Fingerabdruck abgegeben und ist dort als Flüchtling registriert worden, ist dieses Land für ihn zuständig. Dann kann der Geflüchtete nur dort seinen Asylantrag stellen.

Oft gibt es aber gravierende Gründe, die für den Betroffenen gegen eine sogenannte Überstellung in das eigentlich zuständige Land sprechen. Das kann zum Beispiel die schlechte Versorgung und Unterbringung dort sein (die Gerichte sprechen von „Verelendung“), mangelnde ärztliche Versorgung gerade bei Traumata, dort erlebte körperliche Gewalt oder auch die Tatsache, dass die geflüchteten Menschen nahe Angehörige in Deutschland haben, während sie im Dublin-Land niemanden kennen. In solchen Fällen kann ein Kirchenasyl in Betracht gezogen werden.

Aber nicht jede Anfrage kann die Kirchengemeinde positiv beantworten. Jeder Fall wird vom Presbyterium in Zusammenarbeit mit der westfälischen Landeskirche geprüft.

Wie positioniert sich die EKvW generell zum Kirchenasyl?

Roland Wendland:

Unsere Landeskirche sieht Kirchenasyl als „eine seelsorgliche und diakonische Aufgabe der Kirche bzw. der Kirchengemeinde.“ So hat es Landeskirchenrat Dr. Thomas Heinrich, der juristische Dezernent der EKvW, erst kürzlich gesagt. Und wir erhalten als Kirchengemeinde viel Unterstützung durch unsere Landeskirche, speziell durch den Beauftragten für Zuwanderungsarbeit, Pfarrer Helge Hohmann, und die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kirche und Gesellschaft (IKG) der EKvW in Villigst, Marion Kuhn-Ziemann. Kirchenasyl ist ja auch völlig legal. Grundlage dafür ist eine entsprechende Vereinbarung zwischen Staat und Kirche.

Und ist Kirchenasyl auch erfolgreich?

Roland Wendland:

Ja, sehr! Zwar werden die von uns eingereichten Dossiers über die individuellen Härtefallgründe der Betroffenen oft abgelehnt. Aber alle Menschen aus unseren bisherigen Kirchenasylen leben weiterhin in Deutschland und zu vielen haben wir nach wie vor Kontakt. Manche sind als Flüchtlinge anerkannt oder haben einen anderen Aufenthaltstitel erhalten, andere studieren oder machen eine betriebliche Ausbildung, wieder andere arbeiten. Die Berichterstattung über Kirchenasyle (auch in der UK) ist leider oft missverständlich, als ob sie nicht erfolgreich wären, nur weil das Dossier nicht anerkannt wird. Wir sind gerne bereit, über unsere durchweg guten Erfahrungen mit dem Kirchenasyl in anderen Gemeinden zu berichten.

Aber Ihre Flüchtlingsarbeit besteht ja nicht nur aus den Kirchenasylen. Ihre Gemeinde beteiligt sich auch am Projekt „NesT – Neustart im Team“. Um was handelt es sich dabei?

Annette Wendland:

Das NesT-Projekt ist ein Projekt der Bundesregierung mit dem Ziel, besonders schutzbedürftige Menschen aus Krisenregionen nach Deutschland zu holen und ihnen zu helfen, sich in Deutschland ein neues Leben aufzubauen. Dazu werden Mentorengruppen aus Ehrenamtlichen gebildet, die besonders geschult werden und sich verpflichten, sich zwei Jahre um die neu eingereisten Menschen zu kümmern. Dazu gehört, dass sie eine Wohnung für die Familie suchen, bei Ämter- und Arztbesuchen helfen, bei der Suche nach einem Deutschkurs und vieles mehr. Außerdem muss für die ersten zwei Jahre die Wohnungsmiete übernommen werden. Das geschieht bei unserem NesT-Projekt durch den Kirchenkreis Tecklenburg.

Können Sie etwas über die Familie erzählen, die im Rahmen des NesT-Projektes zu Ihnen gekommen ist?

Annette Wendland:

Ja, gerne. Unsere Familie kommt ursprünglich aus Somalia, lebte aber bereits sieben Jahren in einem Flüchtlingscamp in Äthiopien. Sie wurde vom UNHCR (Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen) in das NesT-Programm aufgenommen, weil ein Kind der Familie bei einem Unfall eine schwere Kopfverletzung erlitten hatte, in Äthiopien nicht behandelt werden konnte und sein Gesundheitszustand sich immer weiter verschlechterte. Leider verzögerte sich der Flug nach Deutschland – auch durch Corona – immer wieder und das Kind starb, bevor die Familie ausgeflogen werden konnte. Aber die restliche Familie (Vater, Mutter und zwei kleine Kinder) landete im September 2021 am Flughafen Frankfurt am Main und konnte dort von uns in Empfang genommen werden. Nun lebt die Familie in Recke, einem Nachbarort von Schale. Im Februar 2022 wurde ein drittes Kind geboren.

Zum Glück haben wir viel Unterstützung durch eine somalische Familie in Hopsten und andere Somalier hier in der Gegend. Ohne deren Hilfe beim Dolmetschen, aber auch bei der Betreuung der Familie überhaupt wäre der Kontakt zur Familie sehr schwierig.

Sie nehmen Menschen ins Kirchenasyl und Sie beteiligen sich am NesT-Programm, aber das ist noch nicht alles. Sie geben auch Deutschkurse für geflüchtete Menschen. Können Sie darüber noch kurz etwas sagen?

Annette Wendland:

Deutschkurse gibt es in unserer Kirchengemeinde kontinuierlich seit November 2016, immer an vier Vormittagen in der Woche. Wir bieten sie gemeinsam mit der KAB Nordmünsterland an, also sozusagen ökumenisch. Streng genommen ist es auch kein Deutschkurs nur für Flüchtlinge, sondern für alle Leute, die Deutsch lernen wollen. Wir hatten auch schon Frauen aus Osteuropa dabei, die hier arbeiten. Aktuell ist ein Au-Pair-Mann aus Madagaskar dabei und eine Frau aus der Mongolei, die nach Schale geheiratet hat. Aber die Mehrzahl sind natürlich Flüchtlinge aus allen möglichen Nationen, aktuell auch aus der Ukraine.

Bei so vielen Arbeitsbereichen in der Flüchtlingsarbeit: wer unterstützt Sie dabei?

Roland Wendland:

Jeder und jede Person, die Lust dazu hat. Es gibt die Mentoren-Gruppe, die sich für die NesT-Familie gebildet hat und mittlerweile auch Fahrdienste für den Deutschkurs übernimmt. Es gibt immer mal wieder verschiedene Helfer:innen im Deutschkurs, von der Abiturientin bis zur Rentnerin. Eine Presbyterin kauft für das Kirchenasyl ein. Verschiedene Menschen bringen Spenden vorbei. Zu manchen Menschen in unserem Ort, mit denen wir vorher nichts zu tun hatten, haben wir über die Flüchtlingsarbeit Kontakt bekommen. Und wir arbeiten auch sehr gut mit der Caritas in Hopsten und dem dortigen Asylkreis zusammen. Es ist erstaunlich, wie viel Unterstützung es gibt. Und die Flüchtlinge helfen sich auch untereinander sehr viel, die „alten“ den „neuen“.

Zum Schluss noch eine Frage: Warum ist es Ihnen und Ihrer Gemeinde so wichtig, Flüchtlinge zu unterstützen?

Roland Wendland:

Flüchtlinge sind Menschen, die Hilfe brauchen. Manchmal stellen wir uns vor, selbst einer dieser geflüchteten Menschen zu sein: fremd in einem unbekannten Land. Und was die Hilfsbereitschaft angeht: Unsere Konfirmand:innen lernen dazu immer die Geschichte vom barmherzigen Samariter kennen. Nächstenliebe bezieht sich auf alle Menschen, die Hilfe brauchen. Das sind nicht nur die Flüchtlinge. Hilfsbedürftig sind auch manche Menschen, die hier geboren sind. Aber es sind eben auch die Flüchtlinge.

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