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Ein Statement des Friedensbeauftragten des Ev. Kirchenkreises Tecklenburg, Pfarrer i.R. Detlef Salomo:

Frieden schaffen mit noch mehr Waffen? Unter dem Damoklesschwert nuklearer Abschreckung

Wenn ich die Bilder sehe von den zerstörten Städten, die verheerenden Auswirkungen moderner Waffen, von den Menschen, die unter zerbombten Straßen in U-Bahn-Schächten ausharren, die in den Gesichtern geschriebene Angst von Menschen, die vor den Trümmern ihrer Existenz stehen, von Menschen, die dem Grauen entkommen sind, verzweifelt und erschöpft die Grenzen erreichen, dann kommt mir das vor wie ein Albtraum, dann kann ich es immer noch nicht fassen.

Das geschieht tatsächlich in Europa – von Berlin nach Kiew ist es so weit, wie bis nach Rom. Ein aggressiver Diktator missachtet das Völkerrecht, bricht in den Nachbarstaat ein – das hat es seit Hitlers Überfall auf Polen 1939 nicht mehr gegeben -, missachtet bilaterale Abkommen, zerstört Ordnungen mit gnadenloser militärischer Gewalt bis hin zur Androhung eines Einsatzes atomarer Waffen. Nach den Katastrophen des vergangenen Jahrhunderts war es unvorstellbar, dass Krieg wieder ein bewusst gezielt und geplantes Mittel ist, um politische Ziele durchzusetzen. „Kriegslust ist des Teufels“ wie Martin Luther schrieb, der jeden Angriffskrieg verurteilte: „Wer Krieg anfängt, der ist im Unrecht.“ „Schwerter zu Pflugscharen“, Abrüstung und Friedensdividende waren reale Visionen. Das ist nun Vergangenheit. Die Politik spricht von einer „Zeitenwende“ und wir werden Zeuge einer Rhetorik und einer Denkweise, die wir längst für überholt hielten.

Auf einmal ist wieder von Wehrhaftigkeit, Landesverteidigung, Aufrüstung und Waffenexporten die Rede. Auch die Kontroverse um die sogenannte nukleare Teilhabe ist neu entfacht. Und eine drastische Erhöhung der Militärausgaben war über Nacht beschlossene Sache, praktisch ohne Widerspruch. Ein 100 Milliarden – Euro – Programm zur Nachrüstung und Modernisierung der Bundeswehr, wo zugleich so viel Geld fehlt für Bildung, Schulen, Kindergärten und soziale Aufgaben. Das bedeutet einen erschreckenden Paradigmenwechsel, der in Kirche und Friedensbewegung „schmerzliche Lernprozesse" auslösen wird, wie Präses Annette Kurschus in einem Interview sagte.

Konzeptionell und intellektuell stehen wir vor einer enormen Herausforderung. Putins Raketen und Panzer treffen unsere bisherigen Gewissheiten, bringen Selbstverständnisse ins Wanken, provozieren eine ethische Neuausrichtung und stellen das Prinzip der Gewaltfreiheit radikal in Frage. Schlagartig ist auch die atomare Bedrohung in Europa wieder ins Bewusstsein gerückt. Klimawandel, Ressourcenknappheit, Ungleichheit und Flüchtlinge waren die Themen der vergangenen Jahre. Die Gefahren der Atomwaffen und ihrer Weiterverbreitung hat nur wenige Friedensbewegte beschäftigt und ist in unseren öffentlichen Debatten kaum vorgekommen. Es rächt sich jetzt bitter, dass es um die Atomwaffen bedauerlich still geworden ist. Denn nach wie vor lagern in Europa 615 Atomsprengköpfe der NATO – davon etwa 15 auf dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel. Und eine nicht genau bekannte Anzahl an russischen Atomwaffen in der Region Kaliningrad. Jetzt ist die Angst vor diesen verheerenden Massenvernichtungswaffen wieder da, die meine Generation in den 1980 er Jahren bewegt hat und von der evangelischen Kirche damals nach einer harten Zerreißprobe als „mögliche Handlungsweise zur Verteidigung“ anerkannt wurde. Diese Position wird nicht mehr vertreten.

Heute kann – wie der Rat der EKD in seiner jüngsten Friedensdenkschrift erklärte „ die Drohung mit Nuklearwaffen nicht mehr als Mittel legitimer Selbstverteidigung“ betrachtet werden. Zugleich stehen wir vor der bedrückenden Tatsache, dass es nicht gelungen ist, uns von dieser andauernden Geißel der Menschheit zu befreien. Im Gegenteil: Nach Angaben der Organisation „Ärzte gegen den Atomkrieg“ werden jährlich 100 Milliarden Dollar in die Entwicklung und den Bau besser lenkbarer und leicht einsatzfähiger Atomwaffenträgersysteme investiert. Und es ist nun zu befürchten, dass uns eine neue Spirale atomarer Aufrüstung bevorsteht. Die Gegenbewegung hält diese Waffen für unvereinbar mit dem humanitären Völkerrecht. Die UN-Vollversammlung hat im Januar 2021 einen Atomwaffenverbotsvertrag beschlossen, den bisher 86 Staaten unterzeichnet haben.

Es wäre ein wichtiges Signal, wenn sich unsere Kirche für einen Beitritt Deutschlands einsetzen würde. Dafür plädiert der neue Friedensbeauftragte der EKD, Bischof Friedrich Kramer von der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland.

In diesen unruhigen Zeiten stehen die Zeichen auf Militarisierung. Umso mehr ist die Friedensverantwortung der Kirche gefordert, unbeirrt für Abrüstung und Gewaltfreiheit einzutreten. Die Evangelischen Kirchen in der ehemaligen DDR, aus denen das Motto „Schwerter zu Pflugscharen“ hervorgegangen ist, haben mit Kerzen und Friedensgebeten eine Diktatur zum Einsturz gebracht. Sie waren nicht nur die geistigen Wegbereiter einer gewaltfreien Revolution, sondern haben auch die friedensethische Diskussion, die wir unbedingt wieder führen müssen, entscheidend geprägt, „ein großer Schatz, der nicht in Vergessenheit geraten darf“, wie Bischof Friedrich Kramer betont.

Wir stehen erneut vor der Situation, über Geist, Logik und Praxis der atomaren Abschreckung als ein für die Kirche zentrales Thema Stellung zu nehmen, die Unvereinbarkeit von Glaube und Massenvernichtungsmitteln als ein deutliches Zeugnis zu bekennen. Der Theologe Helmut Gollwitzer zählte zu den entschiedenen Gegnern der nuklearen Abschreckung, denn Waffen, „die den Gegner entweder mit einem vernichtenden Erstschlag oder – zur Vergeltung für einen solchen Erstschlag – mit einem vernichtenden Zweitschlag bedrohen, sind damit von vornherein ausgeschlossen.“ Die nukleare Abschreckung ist keine ethische Option! Abrüstung, Verständigung und Kooperation sind die Grundlage einer friedlichen Weltordnung. Und wir müssen als Kirche um unserer eigenen Glaubwürdigkeit willen daran festhalten, dass mehr Waffen keinen dauerhaften Frieden schaffen.

28. März 2022

Pfr. i.R. Detlef Salomo

Friedensbeauftragter des Kirchenkreises Tecklenburg

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Erstellungsdatum: 28.03.2022