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Johanneskirche draußen vor der Stadt – mitten im Leben - Historiker Dr. Andreas Oehlke referierte am Stiftungsabend in der Johannesgemeinde zu Rheine

„Seit 18 Jahren gibt es die Stiftung denkmalwerte Kirchen im Ev. Kirchenkreis Tecklenburg“, so Superintendent André Ost. Erstmals finde der Stiftungsabend in der Gemeinde Johannes zu Rheine statt. Kuratorium und Vorstand der Stiftung, die sich an diesem Tag neu konstituiert hätten, seien froh, dass es trotz der Corona-Situation möglich sei, den Stiftungsabend anbieten zu können.

Im Jahr 2008 habe die Gemeinde das hundertjährige Jubiläum der Kirche gefeiert. Die Festschrift verfasste der Historiker Dr. Andreas Oehlke aus Rheine. „Er hat die Geschichte der Gemeinde intensiv mit dem damaligen Gemeindepfarrer Harald Klammann, recherchiert“, so Ost. Deswegen habe das Kuratorium ihn auch zum Vortrag am Stiftungsabend eingeladen.  

„Die Johannesgemeinde in Rheine verdankt ihre Entstehung einer langwierigen Emanzipierung gegenüber der Mutterkirche „Jacobi“ und ist eine bewusste Antwort auf die Industrialisierung. Die soziale Frage habe den gesamten Stadtteil der Arbeitervorstadt betroffen, berichtet der Historiker Andreas Oehlke. Eine kleine evangelische Kerngemeinde von hundert Köpfen unter Leitung von Pfarrer August Ziegner gründete sich in Rheine 1938. Geistliches Zentrum ist damals noch die alte Bönekers-Kapelle. 1873 folgt mit der Jakobi-Kirche der erste eigene Kirchbau. Dies, so der Referent, sei der erste Höhepunkt der Gemeindeentwicklung der Evangelischen in Rheine gewesen.  

„Einen wesentlichen Impuls erhielt das kleine Landstädtchen Rheine durch die Begründung der Textil- und Baumwollindustrie noch vor der Jahrhundertmitte. Mit der Eisenbahnlinie Münster-Emden (1856) und die Anbindung an die Fernlinien Salzbergen-Almelo (1865) wurde für die Region ein bedeutsamer Eisenbahnknotenpunkt ausgebildet“, informierte der Historiker. Tausende holländische Arbeitskräfte in Familienverbänden, aber auch aus Ostpreußen und Schlesien kamen nach Rheine. „Nach neuesten sozialpolitischen Erkenntnissen und durchaus engagiert, werden Modellsiedlungen für Arbeiter und ihre Familien in Nähe der Textilfabriken angelegt. „Mit dem Zuzug der neuen Gemeindeglieder erhöhten sich die Aufgaben in der Seelsorge, der pfarramtlichen Betreuung wie auch der Krankenpflege und Religionserziehung“. Die evangelische Gemeinde wächst auf 3500 Mitglieder an.

Ein Betsaal, aus Kostengründen ohne Turm, wurde ins Auge gefasst. Nach vielem Hin und Her kaufte die Gemeinde ein Grundstück an der Periphere der Stadt in Eschendorf. Kurz nach dem Baubeginn beschloss das Presbyterium, die Kirche mit einem Turm zu versehen. „Statt einer rein gotischen Kirche wurde der Kirchbau in seinen Bauformen deutlich vereinfacht. Der neue moderne Jugendstil bricht sich in Form der obersten Turmfenster in der Glockenstube mit der markanten, weitausgestellten Bogenform und den eingestellten mittleren Säulen Bahn“, so Oehlke.

1893 wird eine eigene Pfarrstelle in der Johannesgemeinde errichtet. „Dies war nicht immer konfliktfrei“, berichtet Andreas Oehlke. 1919 folgt ein multifunktionales Gemeindezentrum mit Diakoniestation, Versammlungssaal mit Bühne und Kleinkinderschule (Kindergarten). 1924 wurde die Gemeinde selbstständig. Die Johannesgemeinde erweist sich in der Zeit des Nationalsozialismus als „Hotspot“ gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Offen bieten sich Pfarrer Manz (Bekennende Kirche) sowie Pfarrer Friedrich Karlmeier im Schulterschluss mit dem Nationalsozialisten Walter Dodkott, dem Schulleiter der Luisen- und Ludwigschule, einen Disput.

Nach dem Krieg galt es, die Tausende von Vertriebenen aus den deutschen Ostgebieten zu integrieren. Gut 20 Jahre später sorgte die Bundeswehr mit ihrem Standort Gellendorf für einen erheblichen Zuwachs der Gemeinde.

„Die Johanneskirche ist eine einschiffige neugotische Backsteinkirche und wurde 1908 eingeweiht“, so Pfarrer Andreas Groll in seinen Ausführungen zu Beginn der Veranstaltung. Die Gotik zeige sich beispielsweise in den Spitzbogenfenstern, einem Radfenster über dem Eingang, Bogenfriesen an Schiff und Turm oder den Seitenwangen der Bänke. „Die Architektur dieser Kirche ist nicht einheitlich“, ergänzte Stiftungsvorstand Superintendent i. R. Hans Werner Schneider. Das Gebäude habe „etwas Eigenes“. Die Renovierungsarbeiten in den 1970er Jahren hätten dazu geführt, dass „Innen und Außen nicht mehr zusammenpassten“, berichtete Gemeindepfarrer Groll. Das Betonkreuz im Altarraum sei zum Beispiel so groß gewesen, dass es „fast erschlagend“ auf die Besucher wirkte. Es wurde 1983 entfernt. So sei alles, was den alten Eindruck ausmachte, optisch wieder angepasst worden“, sagte Andreas Groll. In den 1990er Jahren kamen nach der Außenrenovierung des Gebäudes ein Osterkerzenleuchter mit Reliefdarstellungen (Noah und Taube, Kreuzigung, Jordantaufe) sowie neben dem Chor ein großes Relief der Fuß-waschung von Joseph Krautwald (Rheine) hinzu. Mit dem Neubau des Gemeindehauses an der Sternstraße erfüllte sich die Gemeinde im Jahr 2015 den langgehegten Wunsch, eine engere Verbindung von Kirche und Gemeinderäumen herzustellen. Fast kreuzgangartig umschließt das Gemeindehaus heute die Johanneskirche, die nach der jüngsten Innenrenovierung hell und freundlich wirkt.  

Marlies Beckemeyer, Vorstandsmitglied der Stiftung, informierte die Besucher über Einnahmen und Ausgaben der Stiftung und der elf Unterstiftungen: Die Stiftung hat im Jahr 2019 eine Summe von 3.721,18 € aus Zustiftungen erzielt. „Im Vergleich zu 2018 hat die Stiftung 2019 10.000 € mehr an Bilanzsumme erwirtschaftet“, berichtete sie. Sie warb dafür, den Erhalt der historischen Kirche mit einer Spende oder Zustiftung zu unterstützen.

Text: Christine Fernkorn

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