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Umfassende Bewusstseinsbildung und fachliche Handlungssicherheit sind entscheidend - Interview zur Arbeit der AG Sexualisierte Gewalt

Kirchengemeinden sollten Orte sein, an denen Menschen ermutigende und stärkende Erfahrungen machen können. Es geht darum, Beziehungen im verantwortungsvollen Umgang mit Nähe und Distanz zu gestalten.

Sexualisierte Gewalt in allen Formen – von Grenzverletzungen bis hin zu schweren Straftaten – bewirkt jedoch das genaue Gegenteil. Um das zu verhindern, hatte die Sommersynode des Kirchenkreises Tecklenburg 2018 den Anstoß zur Erarbeitung eines Schutzkonzeptes gegen sexualisierte Gewalt gegeben.

Im Januar 2018 nahm die AG Sexualisierte Gewalt ihre Arbeit auf. Vielfältige Kompetenzen der Teilnehmenden aus Kirche und Diakonie fließen in die Arbeit ein. Den Vorsitz der AG hat Pfarrerin Dr. Britta Jüngst, die als Krankenhausseelsorgerin im Klinikum Rheine arbeitet. Sie stellte der Kreissynode am 1. Juli 2019 Bausteine für ein kreiskirchliches Schutzkonzept vor. Damit verständigten sich die Synodalen u.a. auf eine Selbstverpflichtungserklärung, in der es heißt: „Der Evangelische Kirchenkreis Tecklenburg setzt sich für einen wirksamen Schutz vor allen Formen von Gewalt, auch vor Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung, ein und wirkt auf Aufklärung und Hilfe zur Unterstützung Betroffener hin.“ Am 1. Januar 2020 nahm Ingrid Klammann ihren Dienst als „Multiplikatorin“ auf und ist damit im Kirchenkreis zuständig für Schulungen nach dem EKD-weiten Konzept „hinschauen – helfen – handeln“.

Öffentlichkeitsreferentin Christine Fernkorn befragte Dr. Britta Jüngst und Ingrid Klammann zur Präventionsarbeit im Kirchenkreis.

Im letzten November hat die EKvW ein Kirchengesetz zum Schutz vor sexueller Gewalt beschlossen. Wie wirkt sich das Gesetz auf die Arbeit zum Thema Sexualisierte Gewalt im Kirchenkreis aus?

Britta Jüngst: Das Kirchengesetz setzt einen verbindlichen Rahmen für den Schutz vor sexualisierter Gewalt. So nennt es Maßnahmen zur Vermeidung sexualisierter Gewalt und Hilfestrukturen. Alle Einrichtungen unserer Kirche, also auch die Kirchengemeinden, sind nun angehalten, für ihren Ort und ihre Arbeit jeweils ein Schutzkonzept zu erarbeiten. Dazu gehören z.B. eine Risikoanalyse, ein Notfallplan … Die AG hat für die kreiskirchliche Ebene Bausteine eines Schutzkonzeptes bereits erarbeitet. Die stellen wir den Kirchengemeinden als Anregung und Unterstützung zur Verfügung. Zudem sind haupt- und ehrenamtliche Mitarbeitende verpflichtet, an Schulungen zum Thema teilzunehmen, denn wir brauchen unbedingt mehr Wissen über sexualisierte Gewalt in unserer Kirche. Als AG unterstützen wir die Kirchengemeinden so gut wir können bei den ersten Schritten, ermutigen sie, eigene Arbeitsgruppen zu gründen und mit der Umsetzung zu beginnen. Wichtig ist, dass wir vor der Aufgabe nicht zurückschrecken, sondern konsequent das tun, was wir tun können, um sexualisierte Gewalt so gut wie irgend möglich zu verhindern.

Welche Aufgaben haben Sie als Multiplikatorin für das Konzept: Hinschauen-Helfen-Handeln?

Ingrid Klammann: Um alle Menschen und insbesondere Kinder und Jugendliche, die sich in Kirche engagieren, dort arbeiten, Rat und Beistand suchen, an Angeboten teilhaben, bestmöglich vor sexualisierter Gewalt zu schützen, muss eine Sensibilisierung für dieses Thema stattfinden.

Mit den Hinschauen-Helfen-Handeln Schulungskonzepten vermitteln wir als Multiplikatoren*Innen das benötigte Wissen über die vielfältigen Aspekte, die dieses Thema in sich trägt. Beginnend mit einer Begriffsbestimmung, über Strategien von Täter und Täterinnen bis hin zu Risikofaktoren, die sexualisierte Gewalt begünstigen. Es muss gewusst werden, wie Gefahren ermittelt werden können durch die Erstellung einer Risikoanalyse. Und auch das Erstellen eines Interventionsplans ist Schulungsinhalt, damit gewusst wird, was zu tun ist, wenn eine Vermutung oder ein Verdacht auf sexualisierte Gewalt im Raum steht. Die Schulungen sind die Voraussetzungen, um ein Schutzkonzept erstellen zu können. Die Schulungsarbeit beinhaltet immer eine umfassende Bewusstseinsbildung und die Entwicklung fachlicher Handlungssicherheit in diesem Themenbereich. Denn alle Haupt-amtlichen und Ehrenamtlichen, die in kirchlichen Zusammenhägen arbeiten, tragen gemeinsam Verantwortung dafür, dass ein sicheres und schutzbietendes Umfeld geboten wird.

Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf Ihre Arbeit aus? Konnten Sie schon Schulungen anbieten?

Ingrid Klammann:Als im Frühjahr 2020 die Corona-Pandemie auch in Deutschland ausbrach, erstellten wir in der AG gerade einen Zeit- und Arbeitsplan, wie und wann und mit wem die ersten Schulungen durchgeführt werden sollten. Mit den Gemeinden sollte angefangen werden. Ein Vorstellungsschreiben zu meiner Person und meine Aufgabe als Multiplikatorin wurde aufgesetzt und an die Gemeinden verschickt. Es wurde vereinbart, dass Frau Dr. Jüngst alle Presbyterien vorab besucht, um dort über die Vorgehensweise und die Umsetzung der Schulung zu informieren. Anschließend sollten Termine für die Schulung mit mir vereinbart werden. Aufgrund der Pandemiesituation mussten andere Wege beschritten werden. Frau Dr. Jüngst besucht die Presbyterien in Präsenz oder per Zoom. Eine Schulung lässt sich bei diesem sensiblen Thema nicht digital durchführen, dies wurde sehr schnell klar. Somit können wir leider erst in diesem Frühjahr mit der Schulungsarbeit in Präsenz beginnen. Durch das inzwischen in Kraft getretene Kirchengesetz stellen wir fest, dass sich die Gemeinden mit größerer Motivation diesem Thema stellen und die Erstellung eines Schutzkonzeptes für sich als Qualitätsmerkmal ansehen können.

Wodurch erfahren Sie in der Arbeit als kreiskirchlichen Multiplikatorin Unterstützung der AG?     

Ingrid Klammann: Der Kirchenkreis Tecklenburg hat sich mit der AG rechtzeitig auf den Weg gemacht, um sich mit dem Thema Sexueller Missbrauch fachlich auseinanderzusetzen. In der AG bündeln sich für das Thema bereits vorhandene Kompetenzen aus Kirchen-gemeinde, Jugendarbeit, Kindergartenverbund, Verwaltung, MAV, Schule, Diakonie und Seelsorge. Es besteht eine hohe fachliche Qualifikation und große Offenheit, sich des Themas anzunehmen. Meine Schulungsarbeit erfährt dadurch eine starke Unterstützung, sodass für jedes Arbeitsfeld auch passgenaue Angebote in den Schulungen angeboten werden können.                                                                                                                                                                                       

Welche Aufgaben sehen Sie für die AG Sexualisierte Gewalt im weiteren Prozess?

Britta Jüngst: Das Kirchengesetz verlangt, einige Neuerungen zu akzeptieren. Z.B. müssen alle Hauptamtliche und viele Ehrenamtliche künftig ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen. Manche fühlen sich dadurch gekränkt und zu Unrecht verdächtigt. Da kann die AG eine andere Perspektive anbieten: Ein erweitertes Führungszeugnis ist ein deutliches Signal, das Eltern z.B. vermittelt, dass wir wirklich alles tun, damit ihre Kinder bei uns sicher sind, und möglichen Tätern und Täterinnen vermittelt, dass wir aufmerksam und kompetent sind. Die AG erarbeitet gerade weitere Informationen und Materialien, die den Gemeinden bei der Umsetzung des Kirchengesetzes die Arbeit erleichtern sollen, z.B. einen Musterbrief zur Beantragung eines erweiterten Führungszeugnisses oder einen Verfahrensvorschlag für den Umgang mit einer Selbstverpflichtungserklärung. Wir haben eine Art Lotsenfunktion bis das Kirchengesetz allen vertraut ist. Und wir versuchen, möglichst alle Arbeitsbereiche im Blick zu halten, die Kinder- und Jugendarbeit natürlich und auch die Verwaltung, die Musik …

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