Der Referent für ehrenamtliches und bürgerschaftliches Engagement ist an der Evangelischen Akademie Villigst als Studienleiter für Erwachsenenbildung undMännerarbeit zuständig. Pfarrer Olaf Maeder begrüßte zu dem Vortrag „Armut – was ist das?“ etwa 60 Zuhörer im Gemeindehaus. Er eröffnete den Abend mit einer Andacht zur Macht des Wortes. „Gottes Worte sind wirkmächtiger als alles, was lebt“, betonte er.
An den Beginn seines Vortrags stellte Björn Rode eine Aussage aus dem Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zum rasanten Wachstum der Armut in der Pandemie - sie stieg in zwei Jahren von 15.9 auf 16,6 Prozent. Um die heutige Komplexität des Armutsbegriffs zu verdeutlichen, ging er in seiner Präsentation weit in die Geschichte zurück. Die Ursachen für Armut waren vor der industriellen Revolution Alter, Krankheiten, Unfälle, Kriege, Hungersnöte und Naturkatastrophen. Zur Milderung wurden Bettelorden gegründet. Klöster, Kirchen und Reiche zahlten Almosen für die Armen, die als Dank für das Seelenheil der mildtätigen Helfer beteten.
Der Referent bezog sich auf das protestantische Arbeitsethos, das Martin Luther mit den Worten „Der Mensch ist zum Arbeiten geboren, wie der Vogel zum Fliegen“ beschrieben hatte. Diese Debatte werde in der evangelischen wie katholischen Theologie heute noch geführt. Aktuell seien zu den bekannten Armutsrisiken weitere hinzugekommen, erklärte Rode. Er definierte zudem Unterschiede zwischen absoluter und relativer Armut. Während Krankheit und Alter durch Versicherungen und Renten abgesichert würden, geraten Frauen, vor allem alleinerziehende Mütter, schneller in eine Abwärtsspirale und auch kinderreiche Familien sind häufiger arm. Er verwies auf die „Gender Pay Gap“. Die geschlechtsspezifische Lohnlücke bedeutet, dass Frauen bei gleicher Tätigkeit weniger verdienen als Männer.
Unterschiedliche Ausprägungen von Armut machten sich auch in der Kirche bemerkbar, ergänzte Pfarrer Maeder. Durch Einsparungen fielen beispielsweise Anlaufstellen für Obdachlose weg. Mittel für die Wohlfahrtsfürsorge, wie Kindergärten oder Krankenhäuser, stünden nicht mehr ausreichend zur Verfügung. Wie sich die Situation gegenwärtig darstellt, erläuterte Rode anhand eines detaillierten Zahlenwerkes. Insbesondere das Diagramm zur Verteilung von Armut in den einzelnen Bevölkerungsgruppen führte zu interessanten Diskussionen. „Jedes sechste Kind in Deutschland lebt in Armut“, so Rode. Dies wird unter anderem daran gemessen, dass der Familie weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens zur Verfügung stehen.
Klar wurde daraus, dass die Schere zwischen Arm und Reich nach wie vor groß ist, die Armutsquote sei seit 2018 kontinuierlich gestiegen. Dass Menschen Vollzeit arbeiten und aufgrund steigender Mieten und Energiepreise zusätzlich auf Transferleistungen angewiesen sind, sei ein Skandal, hob Olaf Maeder hervor. Auch über bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder die Verteilung von Armut in den einzelnen Bundesländern machten sich die Teilnehmer der Veranstaltung Gedanken. „Wir leben in einer komplexen Gesellschaft und spannenden Zeiten“, so das Fazit des Sozialwissenschaftlers.
Text: Brigitte Striehn