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Gedanken zum Sonntag Kantate

Superintendent André Ost legt den Predigttext zu 2. Chronik 5, 2-5.12-14 für den Sonntag Kantate am 10. Mai 2020 aus. Große Feste des Glaubens können wir derzeit nicht feiern. Am Sonntag Kantate, wo erstmals wieder Gottesdienste möglich sind nach dem großen kirchlichen Lockdown, können wir nicht einmal singen. Aber es kommt nicht auf die Formen an, sondern auf die Inhalte. Und die wirken auch im Kleinen.

„Salomo versammelte alle Ältesten Israels, alle Häupter der Stämme und die Fürsten der Sippen Israels in Jerusalem, damit sie die Lade des Bundes des HERRN hinaufbrächten aus der Stadt Davids, das ist Zion.

Und es versammelten sich beim König alle Männer Israels zum Fest, das im siebenten Monat ist. Und es kamen alle Ältesten Israels, und die Leviten hoben die Lade auf und brachten sie hinauf samt der Stiftshütte und allem heiligen Gerät, das in der Stiftshütte war; es brachten sie hinauf die Priester und Leviten.

Und alle Leviten, die Sänger waren, nämlich Asaf, Heman und Jedutun und ihre Söhne und Brüder, angetan mit feiner Leinwand, standen östlich vom Altar mit Zimbeln, Psaltern und Harfen und bei ihnen hundertzwanzig Priester, die mit Trompeten bliesen.

Und es war, als wäre es einer, der trompetete und sänge, als hörte man eine Stimme loben und danken dem HERRN. Und als sich die Stimme der Trompeten, Zimbeln und Saitenspiele erhob und man den HERRN lobte: »Er ist gütig, und seine Barmherzigkeit währt ewig«, da wurde das Haus des HERRN erfüllt mit einer Wolke, als das Haus des Herrn, sodass die Priester nicht zum Dienst hinzutreten konnten wegen der Wolke; denn die Herrlichkeit des HERRN erfüllte das Haus Gottes.“

Was für ein Spektakel in Jerusalem. Ein großes Einweihungsfest findet statt. Der Tempel ist endlich fertig geworden. Vom großen König David schon lange geplant, von seinem Nachfolger Salomo in die Tat umgesetzt. Und wie es sich für bedeutende Ereignisse gehört, werden sie auch besonders gefeiert.

Alle Honorationen sind versammelt. Was Rang und Namen hat, ist dabei: Der König Salomo natürlich, die Ältesten der Stämme Israels, Priester und Leviten.

Es wird groß aufgefahren, auch musikalisch: Hundertzwanzig Priester mit Trompeten. Eine große Schar von Leviten mit Zimbeln und Harfen. Sie singen und musizieren im vielstimmigen Chor.

In einer großen Prozession bringen sie die Bundeslade mit den Gebotstafeln in das Allerheiligste des neuen Tempels.

Das Ganze ist sicher ein Rausch für die Sinne. Ein Genuss für Augen und Ohren. Wie aus einem Munde erklingt das Gotteslob an diesem Festtag: „Er ist gütig, und seine Barmherzigkeit währt ewig.“

Und wie zur Bestätigung, um wen und was es hier in der Hauptsache geht, zeigt sich Gott selbst anwesend. Das ganze Tempelgebäude, das ihm zur Ehre erbaut ist, wird von einer Wolke eingehüllt.

Die Wolke ist seit alter Zeit das Zeichen für das Mitgehen und Dabeibleiben Gottes. Schon in der Zeit der Wüstenwanderung konnte sich das Volk Israel auf seinem langen Weg in das gelobte Land des Beistands versichern, wenn Gott bei Tag in einer Wolke und bei Nacht in einer Feuersäule erschien und den Zug begleitete (2. Mose 13,21f.). Und so wie jetzt im neuerbauten Tempel hatte Gott sich schon zuvor in sichtsesshafter Zeit in der Stiftshütte niedergelassen (2. Mose 40,38).

So wird deutlich: Hier tobt sich nicht menschliche Feierlust aus, sondern GOTT ist das Zentrum aller Feierlichkeiten. Er ist der Grund, warum all diese Menschen versammelt sind. Sie feiern ihn und den Ort, wo Menschen ihm ein Stein gewordenes Andenken errichtet haben.

Ein großes Fest des Glaubens wird aufgeführt. Eines mit Gesang, mit Glanz und Gloria.

Was für ein Kontrast sind dagegen unsere Gottesdienste an diesem Sonntag. Wenn sie denn überhaupt schon wieder stattfinden. Wir tasten uns an diesem Sonntag Kantate ja erst ganz behutsam wieder an das gottesdienstliche Leben in unseren Kirchen heran.

Zwei Monate ist es her, dass wir die letzten öffentlichen Gottesdienste gefeiert haben. Dann kam das Coronavirus und mit ihm die Beschränkung des gesamten öffentlichen Lebens, einschließlich des Grundrechts auf freie Religionsausübung. Die Kirchen haben einsichtsvoll und freiwillig davon Abstand genommen, weil nicht das Festhalten an Gewohnheiten, sondern der Verzicht in diesen Wochen das Gebot der Nächstenliebe war.

Jetzt wagen wir an diesem Sonntag einen ersten Schritt in Richtung Normalität. Gottesdienste sind zwar wieder möglich, aber nur unter strenger Einhaltung von Schutzkonzepten, die unsere Kirchengemeinden für jede Kirche erarbeiten.

Das bedeutet: Nur eine begrenzte Anzahl an Plätzen aus Rücksicht auf den notwendigen Sicherheitsabstand. Zutritt nur für diejenigen, die sich in Teilnahmelisten eintragen, damit im Ansteckungsfall Infektionsketten nachverfolgt werden können. Mundschutz ist Pflicht. Im Gottesdienst kein Singen, sondern nur Instrumentalmusik. Auf Chor- und Posaunenklang werden wir noch eine ganze Weile verzichten müssen, damit die Infektionsgefahr nicht steigt.

Was für ein Kontrast ist diese Situation zu dem geradezu pompösen Ausdruck der Festfreude zur Tempeleinweihung in Jerusalem. Es ist schon eine kleine Ironie, dass uns ausgerechnet dieser Text am Sonntag Kantate unter den besonderen Umständen des Jahres 2020 begegnet. Er macht uns auf eine sehr deutliche, vielleicht sogar schmerzhafte Weise klar, was uns gerade fehlt.

Normalerweise hätten wir in den allermeisten Gemeinden an diesem Sonntag Konfirmation gefeiert. Wir hätten diesen Tag natürlich festlich ausgeschmückt mit allem, was wir dafür aufbieten können: Gemischte Gesangschöre, Posaunenchöre, Solisten. Wir hätten die Gottesdienste schön gemacht mit feinem Instrumentenklang und starkem Gemeindegesang. So wie es sich zum Sonntag Kantate gehört. Denn dieser besondere Sonntag im Kirchenjahr ist ja eine einzige Aufforderung, den Wert der musikalischen Form der Verkündigung nicht nur zu würdigen, sondern sich in die Kraft der Musik selbst mit hineinnehmen zu lassen.

Das alles gibt es nicht an diesem Sonntag des 10. Mai. Wir erleben Gottesdienst, wenn überhaupt, unter außergewöhnlichen Umständen und nur in reduzierter Form.

Das muss uns aber nicht zwangsläufig verstören. Gottesdienste sind keineswegs nur dann wirksam, wenn sie den gewohnten ästhetischen Linien folgen. Gottes Geist umweht beileibe nicht nur die großen, besonderen Formate. Er zeigt sich uns oftmals gerade da, wo wir es gar nicht vermuten: Im Unverhofften, Bescheidenen, im Ungewohnten.

Umgekehrt kann das große Spektakel mit viel äußerer Verpackung vom wertvollen Inhalt auch ablenken. Manchmal sogar verführen.

 

„Wo man singt, da lass dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder“, sagt der Volksmund.

Von wegen. Für das Gegenteil gibt es leider viele Beispiele. Lieder können auch finstere Inhalte transportieren. Sie können Botschafter des Hasses sein. Lieder können manipulieren. Sie können einen gefährlichen Zusammenhalt schaffen, der Gewalt und Menschenverachtung hervorruft.

Am 75. Jahrestag des Kriegsendes zum 8. Mai habe ich die Bilder der Massenaufläufe der Nationalsozialisten vor Augen. Die Fackelzüge bei der Machtergreifung 1933. Die Menschenmassen, die sich zu den Reichsparteitagen auf dem Nürnberger Zeppelinfeld versammelten.

Wir wissen heute, welche Saat damals gelegt wurde. Die Lieder, die bei diesen Aufmärschen gesungen wurden, trugen den Keim der Zerstörung schon in sich. Sie schlossen die Teilnehmenden zu folgsamen, kriegsbereiten Untertanen zusammen.

 

„Nie wieder!“ Das hat sich uns Nachgeborenen eingeprägt. Wie auch die Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, der zum 40. Jahrestag des Kriegsendes vor 35 Jahren dem grausamen Geschehen des 2. Weltkrieges einen bis heute wirksamen Deutungsrahmen gab: „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“

Gefeit sind wir deshalb trotzdem nicht vor einer Wiederkehr populistischer Fehlleitungen und national-egoistischer Verrohung. Diese destruktiven Phänomene zeigen sich heute wieder in modernem Gewand.

Darum Vorsicht vor den Verblendungen des schönen Scheins. Nicht alles, was mächtig und prachtvoll daherkommt, ist nützlich und heilsam. Nicht alles, was Zustimmung erntet, dient dem Leben und erhält uns den Frieden.

Was die Menschen damals in Jerusalem aufführten, als sie die Bundeslade mit den Gesetzestafeln der 10 Gebote in den neuerbauten Tempel brachten, war keine menschengemachte Selbstinszenierung. Keine Verführung, die Verstand und Sinne benebelt. Die Menschen feierten mit dem Klang der 120 Posaunen, den Zimbeln und Harfen und Gesängen nicht sich selbst, sondern GOTT. Das ist der entscheidende Unterschied.

Mit allem, was sie taten, verwiesen sie auf die Macht eines Höheren, dessen Gebot sie anerkannten und dem zu folgen sie bereit waren.

Es kommt sehr darauf an, welchen inhaltlichen Kern die großen Aufläufe haben, die wir in Szene setzen. Dienen sie jenem höheren Zweck oder nur unseren eigenen Interessen?

Die Verse aus dem 2. Buch der Chronik schildern uns nicht nur ein beeindruckendes Ereignis aus grauer Vorzeit. Sie bilden nicht nur auf eindrückliche Weise den besonderen Wert festlicher Tage in Gestalt von schönen Kleidern, bunten Farben und klangvoller Musik ab. Sie weisen uns gleichzeitig auf den unverzichtbaren Kern unseres kirchlichen Interesses hin.

Es geht in allem Bemühen um Gott. Es geht um seine Güte und Barmherzigkeit, um die wir uns sammeln. Die wollen wir feiern und ehren. Und es gilt etwas davon zu lernen und in das eigene Leben zu übertragen.

Bei der großen Tempeleinweihungsfeier in Jerusalem machen die Teilnehmenden am Ende die besondere Erfahrung, dass sie sich in einem großen Einklang befinden: Es war, als wäre es einer, der trompetete und sang, so heißt es. Als hörte man eine Stimme, die Gott lobte und dankte. Die Menschen spüren hier eine große Verbundenheit - untereinander und mit Gott.

Solche Momente gibt es, wir haben sie hoffentlich schon erlebt: Im Einklang mit uns selbst zu sein. Mit allen anderen drumherum in der besonderen Gemeinschaft des Augenblicks. Im Einklang auch mit Gott, den wir anwesend erleben.

Das sind die bestärkenden Erfahrungen des Glaubens. Sie sind immer und überall möglich. Nicht nur in besonders festlichen Ereignissen, sondern auch im Kleinen.

Gott begegnen, ihn loben und danken in der Gemeinschaft mit anderen. Das geht auch auf neue, ungewohnte Weise. Bestimmt auch mit Abstand und Mundschutz und ganz ohne Singen.

 

Gebet

Gott, Du Freund des Friedens,
steh uns bei in den vielen Herausforderungen, die wir zu bestehen haben.
Lass nicht zu, wenn wir uns damit abfinden wollen
dass Deine Menschheit noch immer keinen Frieden gefunden hat.
Schenk uns Wachheit, Kraft und Zuversicht,
um Werkzeuge deines Friedens zu sein;
dass wir lieben, wo man sich hasst
und verbinden, wo Streit ist.

 

Gott, hol uns aus unserer Müdigkeit und mach uns wach, damit wir sehen,
dass Millionen Menschen noch immer ächzen
unter der Last des Krieges
der Flucht
der Vertreibung.
Schenk uns Kraft, ihnen beizustehen,
dass wir Hoffnung wecken, wo Verzweiflung quält,
dass wir Freude bringen, wo Kummer quält.

 

Gott, lass uns aufrichtig und achtsam werden
und lass uns nicht länger mit der Wahrheit hinter dem Berg halten.
Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens
auch unser Herz und unsere Seele,
dass sie keinen Schaden nimmt an der Schuld, die auf ihr lastet.
Schenk uns Beherztheit,
der Welt und uns selbst in die Augen zu blicken;
dass wir die Wahrheit sagen wo Irrtum herrscht,
dass wir Lichter entzünden, wo Finsternis regiert.

 

Gott, nimm uns den Schrecken und die Angst aus den Gliedern vor der
Pandemie, die unser Leben lähmt und
vielen Menschen das Leben noch schwerer macht
als es schon ist.
Schenk uns Geduld und Beharrlichkeit,
den Betroffenen und ihren Angehörigen beizustehen;
dass wir trösten, wo Schmerz und Einsamkeit herrschen,
dass wir Deine Liebe an Orte bringen, in denen Menschen verzweifeln.
 

Wir beten mit der ganzen Christenheit auf Erden: 

Vater unser im Himmel,
geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute,
und vergib uns unsre Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich
und die Kraft
und die Herrlichkeit
in Ewigkeit.
Amen.

 

Link:   

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Erstellungsdatum: 11.05.2020