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„Islamischer Feminismus mit Blick auf den Iran“ - Vortragsveranstaltung in Westerkappeln

Neue Horizonte des Islam öffneten sich für 30 ZuhörerInnen bei dem von den „Zaunkiekern“ organisierten Vortrag „Islamischer Feminismus mit Blick auf den Iran“. Die „Zaunkieker“ sind eine ökumenische Gesprächsgruppe in Westerkappeln.

Botaina Azouaghe, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Islamische Theologie der Universität Münster, referierte lebendig und anschaulich in Wort und Bild mit Einbeziehung des Publikums. Die Schülerin des berühmten Professor Mouhanad Khorchide begann mit einer Definition des Begriffes „Feminismus“ und ging dann zum islamischen Feminismus über. Dieser sei ein Kind der Aufklärung. Man müsse dabei zwei Richtungen unterscheiden: eine, die den Islam für die Unterdrückung und Diskriminierung der Frauen verantwortlich mache und die andere, die sich aus dem Bekenntnis zum Islam für Frauenrechte und Geschlechtergerechtigkeit stark mache. Die Referentin Botaina Azouaghe gehört zweifelsohne der zweiten Richtung an.

Sie stellte die These auf, dass die in Deutschland herrschenden Vorurteile, muslimische Frauen müssten ein Kopftuch tragen, seien ans Haus gebunden und müssten ihren Männern untertan sein, auf eine fundamentalistische, patriarchale, von Männern durchgeführte Koranexegese zurückzuführen seien. Botaina Azouaghe praktiziert die feministische Exegese, eine auch im Christentum bekannte historisch-kritische Methode und kommt zu dem Ergebnis, dass die wichtigen Botschaften des Koran, nämlich Gleichheit, Gerechtigkeit und Freiheit gerade auch für die Beziehungen zwischen Frauen und Männern gelten. Eine Kopftuchpflicht wie im Iran und die Diskriminierung von Frauen seien damit nicht in Einklang zu bringen. Interessant auch, was sie zur angeblich im Koran erlaubten Polygamie sagte: Der betreffende Vers, dass ein Mann wie der Prophet Mohammed vier Frauen haben dürfe, stamme aus der Zeit, in der Mohammeds Gefolgschaft in zahlreiche Kriege, die viele männliche Todesopfer forderten, verwickelt gewesen sei. Die Vielzahl der Witwen und alleinstehenden Frauen hätte nur durch Heirat sozial versorgt werden können. Außerdem würden sich die Männer nur auf den ersten Teil des Koranverses beziehen und die zweite Hälfte außer Acht lassen, in der es heißt, dass ein Mann all seine Frauen gleich gerecht behandeln müsse, was faktisch unmöglich sei.

Im zweiten Teil stellte die Referentin iranische Pionierinnen des islamischen Feminismus vor z.B. Shirin Ebadi, die als erste muslimische Frau 2003 den Friedensnobelpreis erhielt, Shala Sherkat, die die feministische Zeitung „Zanan“ herausgegeben hat, sowie Afsaneh Najmabadi und Ziba Mir Hosseini. Diese Frauen sind inzwischen über 70 Jahre alt und leben zum Teil im Exil in USA und Großbritannien. Bemerkenswert sei, dass Schah Mohammad Reza Pahlavi, der von 1941 bis 1979 regierte, eine fortschrittliche Frauenpolitik umgesetzt hätte. Die Errungenschaften für die Frauen in dieser Zeit seien jedoch durch die Iranische Revolution von den Ayatollahs zunichte gemacht worden.

Heute müssen Frauenrechtlerinnen aus dem Untergrund agieren. Viele tun dies mittels der Kunst, mit Filmen, Musik, Skulpturen und Bildern. Frau Azouaghe zeigte Fotografien von Shirin Neshat und Qajar-Kunst von Shadi Ghadirian. Die Zuhörerinnen erkannten, welche Provokation in den Darstellungen steckt, wie die Künstlerinnen Tabus brechen und dadurch eine kritische Reflexion über soziale Ungerechtigkeiten auslösen. Seitdem Jina Mahsa Amini, die das Kopftuch nicht vorschriftsmäßig getragen haben soll, im September 2022 in Polizeigewahrsam umgekommen ist, gingen jeden Tag viele iranische Frauen, von Männern unterstützt, auf die Straße und protestierten gegen das Regime und demonstrierten für Frauenrechte. Aus dem Auditorium kam der Wunsch, Deutschland möge diese mutigen Frauen entschiedener unterstützen.

Unter starkem Applaus bedankte sich Gertrud Bodenstein, die Sprecherin der Zaunkieker, bei Botaina Azouaghe für den beeindruckenden Vortrag und gab ihr als Wegzehrung ein “süßes“ Paket mit für die lange Rückreise. Frau Azouaghe revanchierte sich mit einem Lob für die Zaunkieker, indem sie sagte, dass solch eine Veranstaltung wie diese der in Deutschland momentan ansteigenden Islamfeindlichkeit entgegenwirke und deshalb sehr wichtig sei.

Text: Pfarrer i.R. Reiner Ströver

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Erstellungsdatum: 24.07.2023