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Krieg in der Ukraine – Wie geht die Kirche mit der neuen Herausforderung um? Interview mit Superintendent André Ost

Es ist Krieg in Europa. Viele sprechen in diesen Tagen von einer Zeitenwende. Vor dem Hintergrund des bedrohlichen Ukraine-Krieges will Deutschland seine Verteidigungsausgaben massiv erhöhen. Bei Demonstrationen in Solidarität mit den Menschen in der Ukraine gingen Hunderttausende auf die Straße.

Viele Kirchengemeinden veranstalten in kürzester Zeit Friedensgebete und Friedensgottesdienste, oft in ökumenischer Verbundenheit. Öffentlichkeitsreferentin Christine Fernkorn sprach mit Superintendent André Ost darüber, wie sich diese krisenhafte und unruhige Zeit auf die Gemeinden im Kirchenkreis Tecklenburg auswirkt.

Welchen Beitrag kann die Kirche in diesen Tagen leisten?

Wir merken gerade, wie wichtig es ist, dass die Kirchengemeinden ihre Türen öffnen und einen Raum ermöglichen, damit das Gefühl von Unbegreiflichkeit einen Ausdruck finden kann. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat uns wohl alle schockiert. Mit einem solchen Überfall haben wir in Europa nicht gerechnet. Wir haben bis zuletzt auf die Kraft der Diplomatie gesetzt und wurden bitter enttäuscht. Plötzlich sehen wir uns in die finstersten Tage des kalten Krieges zurückgeworfen. Viele haben Angst, dass sich dieser Krieg in Osteuropa noch ausweitet und wir immer weiter mit hineingezogen werden. Gleichzeitig fühlen wir uns mit den Menschen in der Ukraine verbunden, die um ihr Land und Leben kämpfen und zu Hunderttausenden fliehen müssen. Die Bilder aus den Kriegsgebieten lassen niemanden kalt. Ältere Menschen werden dadurch an ihre eigenen schlimmen Kriegserlebnisse erinnert. Und die Jüngsten machen nach Corona die nächste verstörende Krisenerfahrung. Unser Auftrag als Kirche besteht jetzt darin, etwas anzubieten, was den Menschen hilft: Gespräche über Sorgen und Ängste ermöglichen, Friedensgebete veranstalten und Hilfe für die vom Krieg betroffenen Menschen organisieren.     

Wie ist die Stimmung unter den Pfarrerinnen und Pfarrern? Wie begegnen sie diesen beunruhigenden Entwicklungen?

Das Entsetzen ist groß. Aber auch der Wille, etwas zu tun, das in dieser Situation Trost und Hoffnung geben kann. In kürzester Zeit wurden in unserem Kirchenkreis Friedensgebete und Spendenaufrufe vorbereitet, meist in ökumenischer Verbundenheit. Viele von uns fühlen sich zurückversetzt in die Zeit vor dem Mauerfall, als sich die Machtblöcke in Ost und West waffenstarrend gegenüberstanden. Die Mehrzahl unserer Pfarrerinnen und Pfarrer hat die Friedensbewegung in den frühen 80er Jahren miterlebt. Für einige war diese Zeit sogar so prägend, dass sie zu einer Motivation für den Pfarrberuf wurde. Die Friedensbewegung hat damals zweifellos zur militärischen Abrüstung beigetragen. Jetzt spricht man von einer Zeitenwende in der Sicherheitspolitik. Der Bundestag hat ein Aufbauprogramm für die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr beschlossen. Wir werden dadurch friedensethisch ganz neu herausgefordert. Wie brüchig der scheinbar so selbstverständliche Friede in Europa in Wahrheit ist, wird deutlich, wenn er durch rücksichtslose Machtpolitik aufs Spiel gesetzt wird.     

Was kann jetzt getan werden, um den Krieg nicht ausufern zu lassen und den Frieden wiederherzustellen?  

Das ist wirklich schwer zu sagen. Der Machthaber im Kreml verfolgt skrupellos seine Weltmachtinteressen, und die Ukraine hat das klare Ziel der Westanbindung. Eine Verständigung scheint derzeit ausgeschlossen. Wenn die Waffen sprechen, hat die Diplomatie versagt. Zum Frieden gibt es aber grundsätzlich keine Alternative, denn „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein“. So hat es der Weltkirchenrat 1948 unter dem Eindruck des Grauens im 2. Weltkrieg festgehalten. Wir müssen zum Frieden zurück, sonst dreht sich die Eskalationsschraube immer weiter und die Barbarei übernimmt das Kommando. Die große Fluchtbewegung aus der Ukraine zeigt uns jetzt schon die verheerenden Auswirkungen. „Pax optima rerum“ - der Friede ist das höchste Gut. Das ist letztlich die Erkenntnis aus der Geschichte, die sich gerade in unserer Region des Westfälischen Friedens durchgesetzt hat. Ich frage mich: Braucht es immer erst die leidvollen Erfahrungen eines Krieges, um zu begreifen, dass er keine Lösung ist? Niemand muss sich dafür entschuldigen, dass er auf Dialog und Verständigung setzt, um das Schlimmste zu verhindern, auch jetzt nicht. Ich kann nur dafür beten, dass es Mittel und Wege gibt, die Kriegstreiber zum Einlenken und zur Vernunft zu bringen. Mit jedem Friedensgebet, das wir in diesen Tagen veranstalten, geben wir dieser Hoffnung einen starken Ausdruck.  

 

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Erstellungsdatum: 03.03.2022