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Opfern des Holocaust ihren Namen und ihre Würde zurückgeben - Künstler Gunter Demnig verlegt 19 Stolpersteine

Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts gehörten Familien jüdischen Glaubens zur Gemeinschaft der Ibbenbürener Bürger dazu, errichteten 1913 sogar eine neue, kleine Synagoge. Bis die Nationalsozialisten im Jahr 1933 an die Macht kamen und sich auch in Ibbenbüren sehr schnell Ablehnung und Hass gegen die jüdischen Mitbürger richteten. Viele von ihnen emigrierten schon früh ins Ausland – häufig in die nahen Niederlande -, doch nur Wenige konnten sich tatsächlich retten.

Ihnen und vielen anderen verfolgten Juden in ganz Europa, aber zunehmend auch anderweitig Verfolgten, ist das Projekt „Stolpersteine“ gewidmet, mit dem wenigstens ein Teil der Opfer im Gedächtnis der Menschen verbleiben soll – und zwar hauptsächlich an genau der Stelle, an der die zumeist jüdischen Opfer einst ihren letzten freien Wohnsitz hatten: Je ein messinglänzender Stein mit Name und Inschrift für jeden einzelnen derer, die ermordet wurden oder nur mit viel Glück und Hilfe überlebten. 

Schon 1993 entwickelte der Künstler und Kunstpädagoge Gunter Demnig die Idee zu den „Stolpersteinen“. Seine Mission: Den Opfern des Holocaust ihren Namen und ihre Würde zurückgeben. Drei Jahre später wurden die ersten Exemplare in Köln und Berlin verlegt – illegal, aber schon bald legalisiert und ab dem darauffolgenden Jahr durch immer mehr Steine in immer mehr deutschen und europäischen Städten ergänzt. Das größte dezentrale Mahnmal der Welt ist so entstanden, und es wächst noch weiter: Das Projekt gehe auf die 90.000 Stück zu, beschrieb es  Pfarrer i. R. Gernold Mudrack am 23. Juni in seiner Begrüßung anlässlich einer erneuten Verlege- Aktion in Ibbenbüren, „davon 19 heute und hier“.

Gut besucht war insbesondere der erste Standort der neuen Ibbenbürener Stolpersteine: Gleich elf von ihnen wurden vor dem einstigen Wohnhaus der Familie Rosenthal in der Poststraße 7 vom Künstler mit routinierten Handgriffen höchstpersönlich verlegt, sechs weitere folgten an fünf verschiedenen Standorten im ganzen Stadtgebiet. Die Regie für den ersten Standort hatten Maria und Richard Frank übernommen. Sie hatten Texte verfasst, die von einigen Schülern der Gesamtschule Ibbenbüren (mit der die Franks schon seit einigen Jahren zusammenarbeiten) vorgetragen wurden. Die Texte beschreiben, wie es den Opfern in ihrem teilweise nur sehr kurzem Leben ergangen war.

Neun Schüler aus dem 8. Jahrgang der Gesamtschule hatten sich in der vergangenen Zeit unter der Anleitung von Lehrerin Ines Staufenberg mit der Historie der Ibbenbürener Holocaust-Opfer befasst. Doch meist gebe es den ersten Kontakt zu diesem nach wie vor verstörenden Aspekt der deutschen Geschichte schon in der 6. Klasse, erklärt die engagierte Lehrerin: Durch die regelmäßige Reinigung der vorhandenen Stolpersteine würden die Schüler erstmals ganz direkt mit den Opfern konfrontiert. „Da versuchen wir, ein Bewusstsein in der Schule zu schaffen“, erläutert Ines Staufenberg die Bedeutung der Aktion.

Das wusste auch Bürgermeister Dr. Marc Schrameyer zu würdigen; bei seinem Besuch der Stolperstein-Verlegung an der Poststraße galt sein Dank den Schülern sowie dem Lenkungskreis Projekt Stolpersteine im Förderverein des Stadtmuseums Ibbenbüren gleichermaßen. „Das ist nicht selbstverständlich, was wir hier heute machen, aber es ist extrem wichtig“, betonte Schrameyer mit Blick auf den zunehmenden Rechtsradikalismus in Europa. Das Projekt von Gunter Demnig führe jeden Tag das Leid der betroffenen Menschen vor Augen, so der Bürgermeister.

Es war das dritte Mal, dass in Ibbenbüren Stolpersteine verlegt wurden: Nach 23 im Jahr 2016 und weiteren 18 in den Jahren 2017/18 wurde die Zahl nun auf insgesamt 60 erhöht. „Es gibt noch etliche  jüdische Menschen, an die wir mit Stolpersteinen denken sollten“, umreißt Gernold Mudrack von der Stolperstein-Initiative das Ziel für die Zukunft. Bedauerlich findet er, dass die Biografien der hiesigen Opfer sehr überschaubar sind: Es fehle der Zugang zu privaten Dokumenten und Fotos. Das, was die an der Aktion Beteiligten zu den einzelnen Opfern herausgefunden haben, findet sich auf einem eigens herausgebrachten Flyer oder (per QR-Code auf ebendiesem) unter der Biparcours-App „Stolpersteine in Ibbenbüren“. Auch die Ibbenbürener Studien „Machtsicherung. Ausgrenzung. Verfolgung. Nationalsozialismus und Judenverfolgung in Ibbenbüren“ (Band 6) geben Auskunft.

Doch nicht nur der jüdischen Opfer will der Lenkungskreis „Stolpersteine“ gedenken, auch Opfer des Euthanasieprogramms, Zwangsarbeiter und politisch Verfolgte (diesmal war auch ein Zeuge Jehovas dabei, der wegen seines Glaubens ermordet wurde) sollen noch folgen. Sehr wahrscheinlich wird beim nächsten Mal ein Ibbenbürener dabei sein, über den Norbert Ortgies im vergangenen Jahr das umfangreiche Buch „Zwischen Bolschewismus und Bergpredigt. Ludwig Bitter (1908-1942)“ veröffentlichte. Denn Eines steht fest: Die Ibbenbürener „Stolperstein“-Aktiven wollen mit ihrer Arbeit ebenso wenig aufhören wie Günter Demnig.    

Der hatte an diesem Tag noch ein weiteres Ziel auf dem Programm: Bersenbrück im Osnabrücker Land. Doch auch im Kirchenkreis Tecklenburg finden sich seit einigen Jahren weitere Zeugnisse des Künstlers sowie der ihm durch ihre Forschungsarbeit zuarbeitenden örtlichen Initiativen: So erinnern beispielsweise auch in Lengerich, Westerkappeln und Rheine an verschiedenen Stellen Stolpersteine an die einst dort lebenden jüdischen Mitbürger.                       

Text: Claudia Ludewig

 

 

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