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„Vielleicht macht die Kirche gar nicht so viel falsch“ - Stiftungsabend mit Prof. Dr. Detlef Pollack in der Jakobi-Kirche

Ein wichtiges Thema stand im Mittelpunkt des diesjährigen Stiftungsabends der Stiftung denkmalwerte Kirchen im Kirchenkreis Tecklenburg in der Jakobi-Kirche in Rheine. Prof. Dr. Detlef Pollack, der wohl bekannteste Religionsforscher Deutschlands, referierte über das Thema „Über die Krise der Kirche und was wir dagegen tun können“.

„Heute Abend interessiert uns besonders, wie wir den Negativtrend aufhalten können“, sagte Superintendent André Ost zur Eröffnung. Das Festjahr 150 Jahre Jakobi-Kirche wurde mit diesem Vortagsabend abgerundet. Einige Zustifterinnen und Zustifter hatten in der gut besuchten Kirche Gelegenheit, sich in das Stifterbuch einzutragen. „Die Stiftung für denkmalwerte Kirchen ist in diesem Jahr 21 Jahre alt. Mit unseren 21 denkmalwerten Kirchen sind wir im Kirchenkreis reich gesegnet“, berichtete der Superintendent. Ost warb dafür, mit einer Zustiftung oder Spende zum Erhalt der Kirche vor Ort beizutragen. In Verbindung mit der Veranstaltungsreihe „Kirche und Welt“ in der Jakobi-Gemeinde wurde der Abend von Dr. Karl Wilms organisiert und moderiert. Kantorin Lena Puschmann (Piano, Orgel) und Ida Kösters (Saxophon) begleiteten den Abend musikalisch.

In jahrelangen Studien an den Universitäten in Leipzig, Bielefeld, New York, Frankfurt (Oder) und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat sich der renommierte Religionssoziologe Prof. Dr. Detlef Pollack mit Fragen der Kirchenbindung und -entfremdung sowie mit den Ursachen von Kirchenaustritten befasst. Er ließ die interessierten Besucher an den Analysen seiner Studien teilhaben. „Die evangelische und katholische Kirche sind in einer tiefen Krise“, konstatierte Detlef Pollack. Derzeit sei eine Kirchen- und Glaubenskrise zu verzeichnen: „Die Bindekraft der christlichen Konfessionen hat sich in den letzten Jahrzehnten in Deutschland und Westeuropa stark abgeschwächt.“ Diese Abschwächung beträfe die evangelische Kirche mehr als die katholische und werde durch einen Zuwachs im freikirchlichen Bereich nicht kompensiert. „Vorangetrieben werden die Prozesse der Verkleinerung nicht nur durch sich erhöhende Kirchenaustrittsraten, sondern durch eine zurückgehende Weitergabe der Kirchenbindung von einer Generation zur nächsten in den Familien“, berichtete Pollack. „Religiöse Sozialisation ist der wichtigste Grund, auf dem die Kirche steht. Was im Jugendalter nicht gelehrt wird, ist schwer im Erwachsenenalter nachzuholen“, ist er sich sicher. Religiöse Sozialisation und kirchliche Bindung stünden im Zusammenhang. Die rückläufige Entwicklung der kirchlichen Mitgliedschaft führe in der Regel nicht zu einer Intensivierung der kirchlichen Bindung derjenigen, die der Kirche treu blieben, informierte er.

„Die Kirche wird hoch geschätzt für ihr diakonisches und gesellschaftspolitisches Engagement. Die Menschen goutieren, dass sie sich für Arme, Kranke und Bedürftige einsetzt“, so die Analyse Pollacks. Den Menschen sei der Halt und die Begleitung in Lebensübergängen (Taufe, Konfirmation, Hochzeit, Beisetzung) wichtig. „Kirche steht für Frieden, Gerechtigkeit und Fairness. Es gibt die Erwartung, dass Kirche diese Werte vertritt“, so der Religionssoziologe weiter. Die Kirchen- und Glaubenskrise sowie der Rückgang der Bedeutung des Glaubens an Gott gehe einher mit einem Wandel der dominanten Formen des Gottesglaubens, sagte der Referent. „Inzwischen glauben mehr Menschen an ein höheres Wesen als an einen personalen Gott“, machte er deutlich. Doch nicht nur der Anteil der Konfessionslosen nehme zu, sondern auch der Grad der religiösen Pluralität: „Heute stimmen 86-88 % der Deutschen der Aussage zu, alle Religionen haben in gleichem Maße Recht oder Unrecht“, berichtete Detlef Pollack. Obwohl die antiklerikalen und religionsfeindlichen Stimmungen in den letzten Jahren unübersehbar zugenommen hätten, würden sie sich doch in Grenzen halten, so die Analyse des Religionssoziologen.

„Religiöse Erziehung und Sozialisation sind den Menschen wichtig. Kirchliche Kinder- und Jugendarbeit ist aus meiner Sicht der Schlüssel für eine weitere Perspektive der Kirche“, machte er deutlich. Die Menschen würden von der Kirche nicht so sehr politische Statements, jedoch eher ihre Wertehaltung erwarten. „Kirche sollte nahe bei den Menschen sein und zuhören“, so seine Empfehlung. Sie sollte nicht von oben herab agieren, die Schnittmengen mit nichtkirchlichen Bereichen erhöhen und gleichzeitig religiöses Profil zeigen. „Vielleicht macht die Kirche gar nicht so viel falsch. Sie sollte bei ihrer Sache bleiben“, so sein Appell an die Zuhörenden.

In der sich anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass die Stiftung mit dem Thema eine gute Wahl getroffen hatte: Es entspann sich eine rege Diskussion. Im Gemeindehaus bei Kürbis- und Käsesuppe klang der informative und anregende Abend aus.

Weitere Informationen zur Stiftung unter www.denkmalwert.de.   

Text: Christine Fernkorn

 

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