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„Nur wo Wahrheit und Vergebung sind, da kommt einmal der Tag der Befreiung und Erlösung“ - Gottesdienst zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus in Lotte

„Der furchtbarste Name, den die deutsche Geschichte kennt, ist Auschwitz: grausamer Mord und die organisierte Vernichtung des Judentums. Als die Soldaten der roten Armee das Konzentrationslager heute vor 79 Jahren befreiten, trafen sie auf unsagbares Leid. Das Martyrium der Lagerinsassen hatte ein Ende“ erinnerte Pfarrer i.R. Detlef Salomo, der Friedensbeauftragte des Kirchenkreises Tecklenburg, an die besondere Bedeutung dieses Tages.

An diesem Tag sei Zeit zum Innehalten, sagte er zur Eröffnung des Abendgottesdienstes in der Dorfkirche Lotte.

Am 27. Januar 1945 befreiten Soldaten der Roten Armee die Konzentrationslager von Auschwitz-Birkenau. Mehr als eine Million Menschen hatten die Nazis dort ermordet. Als Tag der Befreiung ist der 27. Januar seit 1996 bundesweiter Holocaust-Gedenktag. Auch die UN hat ihn zum Tag des Gedenkens deklariert. Die Evangelische Kirche von Westfalen hat eigens eine Gottesdienst-Ordnung für diesen seit 2018 kirchlichen Gedenktag vorgelegt.

Primo Levi war ein italienischer Schriftsteller und Chemiker. Er ist vor allem bekannt für sein Werk als Zeuge und Überlebender des Holocausts. In seinem autobiografischen Bericht „Ist das ein Mensch?“ hat er seine Erfahrungen im KZ Auschwitz festgehalten. Pfarrer Salomo zitiert in seiner Predigt, wie Primo Levi die Befreiung des KZs durch russische Soldaten erlebte:“ Sie grüßten nicht, sie lächelten nicht, sie schienen befangen, nicht so sehr aus Mitleid, als aus einer unbestimmten Beklemmung heraus, die ihnen den Mund verschloss und ihre Augen an das düstere Schauspiel gefesselt hatte“ so der Autor. „Diese Soldaten haben einen Blick in den Abgrund getan, in die tiefste Tiefe dessen, was Menschen anderen Menschen antun können“ sagt Detlef Salomo. Zuvor waren Gruppen von Gefangenen aus Auschwitz und den Nebenlagern nach Westen transportiert worden. Zum Teil mussten sie in sogenannten „Todesmärschen“ diesen Weg zu Fuß laufen. Die russischen Soldaten empfanden jene Scham, die die Deutschen nicht kannten. Eine Scham vor einer Schuld, die nicht ihre ist. Primo Levi:“ Diese Schuld, die ein anderer auf sich lädt und die quält, weil sie unwiderruflich in der Welt der existierenden Dinge eingebracht ist“. Auschwitz sei zum Begriff für eine Schuld unseres Landes geworden, so Detlef Salomo. Im Gebet gedachte die Gemeinde in Lotte der sechs Millionen jüdischen Frauen, Männer, Kinder, Sinti, Roma, Menschen mit Behinderungen, Schwulen, Lesben und vieler anderer Opfer, denen die Menschenwürde geraubt und die von den Nazis ermordet wurden.   

„Heute gehören die Holocaust-Leugner zu unserer Geschichte“ ist sich Salomo sicher. Es habe sie in den 68er-Jahren gegeben und es gebe sie heute. Schuld werde verharmlost, verdrängt. Hinter diesen Leugnungen stehe der für die Demokratie gefährdende Wunsch, gegen den in diesen Tagen Tausende auf die Straßen gingen. „Die meisten Holocaust-Leugner erstreben ein ähnliches Staats- und Gesellschaftsmodell wie die Nationalsozialisten. Es ist mühsam, diese Strategien des Leugnens, Verharmlosens, des Verdrängens zu erkennen“ unterstrich der Pfarrer. Mit der Unwahrheit fange alles an. Der Apostel Paulus mahnt im Epheserbrief, die Lüge abzulegen und die Wahrheit zu sagen. „Diese Ermahnung trifft mitten in unsere Zeit der „Fake News“, des Lügens, des Wahrheiten Verdrehens und der unwahren Behauptungen“ so Salomo. Die sogenannten „Wutbürger“ seien eine Erscheinung der Zeit. Ihnen gehe es darum, Destruktivität in die Gesellschaft zu tragen und unserer Demokratie zu schaden.

“Heute sind wir wieder beschämt, traurig und ratlos über die Wucht des Antisemitismus nach dem Massaker der Hamas in Israel am 7. Oktober letzten Jahres. Überwunden geglaubte Vorurteile, Verschwörungstheorien und Hass gegen Jüdinnen und Juden formen sich in dem „Ja aber“ und Relativierungen des größten Mordens nach der Shoa. „Christinnen und Christen erkennt man daran, dass wir der Lüge die Wahrheit, dem Hass die Mitmenschlichkeit und dem Zorn, die Bitte um Vergebung entgegensetzen“, so der Friedensbeauftragte. „Der Tag heute ist ein Appell zur Wachsamkeit und ein Zeichen der Solidarität mit den jüdischen Geschwistern in unserem Land. Nur wer die Vergangenheit nicht vergisst, findet Orientierung in der Gegenwart. Nur wo Wahrheit und Vergebung sind, da kommt einmal der Tag der Befreiung und Erlösung“.  

Dr. Iris Pfordt gestaltete den Gottesdienst einfühlsam mit Choralsätzen wie „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“ und „Wenn wir in höchsten Nöten sein“ an der Orgel. Annette Salomo sang das von Dietrich Bonhoeffer aus der Nazi-Haft getextete Gedicht „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ (vertont von Siegfried Fietz), mutmachend und stärkend. Gemeinsam klang der Gottesdienst mit dem hoffnungsvollen Lied „Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt“ aus.    

Text: Christine Fernkorn  

         

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