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So kann Migration gelingen - Flucht- und Integrationsministerin Josefine Paul besucht Fachverband Flucht und Migration der Diakonie RWL

Schutzsuchende menschenwürdig unterzubringen und zu begleiten. Dafür macht sich der Fachverband Flucht und Migration der Diakonie RWL stark. Ebenso für Integration und Teilhabe und den Kampf gegen Diskriminierung.

Doch in der täglichen Arbeit vor Ort könnte vieles besser laufen. Bei ihrem Besuch reagierte Nordrhein-Westfalens Flucht- und Integrationsministerin Josefine Paul auf die Kritik.

Da ist die Ärztin aus Nigeria, die im Job diskriminiert und unter Druck gesetzt wird. Oder die Mutter aus der Demokratischen Republik Kongo, die nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmt ist und mangels Beratung seit Monaten in einer Sammelunterkunft bleiben muss, weil ihr Asylverfahren stockt. Und da sind die Mitarbeitenden der Freien Wohlfahrt, die jeden Tag aufs Neue für die Rechte dieser Menschen kämpfen, dabei aber immer wieder an ihre Belastungsgrenzen stoßen.

"Wir sind überfordert. Stellen und Angebote in der Flüchtlingsberatung sind unterfinanziert und können vielfach nicht mehr aufrechterhalten werden. Um den Menschen gerecht werden zu können, sind langfristig feste Strukturen und ausreichend qualifiziertes Personal wichtig. Aber dafür brauchen wir finanzielle Sicherheit." So schildert eine Mitarbeiterin des Diakonischen Werks im Kirchenkreis Jülich bei der Mitgliederversammlung des Fachverbands Flucht und Migration der Diakonie RWL ihre Arbeit in der Flüchtlingsberatung, die geprägt ist von einer hohen emotionalen Belastung und gleichzeitig von unsicheren Zukunftsaussichten infolge befristeter Förderprogramme. "Uns geht langsam die Puste aus, weil wir die hohen Eigenanteile nicht mehr auffangen können, Personal nur befristet einstellen können und jedes Jahr aufs Neue Förderanträge stellen müssen."

Große Wertschätzung

Die Klage landet in diesem Fall direkt an der richtigen Stelle: Die nordrhein-westfälische Flucht- und Integrationsministerin Josefine Paul (Bündnis90/Die Grünen) sucht an diesem Nachmittag das Gespräch mit den Fachleuten in Sachen Flucht, Migration, Integration und Antidiskriminierungsarbeit. Und obwohl sie den Teilnehmenden ausdrücklich für deren großes Engagement dankt und betont, wie wichtig deren Arbeit sei, macht sie wenig Hoffnung, dass sich an dem Prinzip der befristeten Förderprogramme viel ändern werde. "Das Förderprogramm für Zugewanderte aus Südosteuropa läuft bis zum Ende dieses Jahres, es war direkt befristet angelegt", erklärt Paul.

Dennoch ist es ihr wichtig, den Anwesenden ihre große Wertschätzung zu zeigen: "Wir haben Sie, die freien Träger, die einen ganz entscheidenden Beitrag zur Integration und zu einer gut aufgestellten Integrationsinfrastruktur leisten. Nordrhein-Westfalen hat es sich zum Ziel gesetzt, jede Form von Rassismus und Diskriminierung zu bekämpfen." Der Fachverband Flucht und Migration der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe und seine vielen Mitarbeitenden leisteten mit ihrer Arbeit einen wichtigen Beitrag, "auch mit ihrem Engagement für diejenigen, die vor Gewalt, Verfolgung oder Krieg zu uns geflohen sind".

Wichtige Stütze

Die gute Partnerschaft zwischen Landesregierung und Diakonie RWL betont auch deren Vorständin Kirsten Schwenke: "Wir wissen um die großen Herausforderungen, die aktuell die großen Fluchtbewegungen, ausgelöst durch fürchterliche Kriege und Krisen, für die Politik und die aufnehmenden Kommunen bedeuten. Und wir möchten Ihnen versichern, dass wir hier an Ihrer Seite stehen und vor Ort mit allen Kräften ein gutes Ankommen, eine angemessene Versorgung und die Integration in die Stadtgesellschaft unterstützen."

Die vielfältigen Angebote der Freien Wohlfahrtspflege seien eine wichtige Stütze im gesellschaftlichen Zusammenleben: "Aktuell stehen wir vor mehreren entscheidenden Wahlen in Europa und drei ostdeutschen Bundesländern, die sich massiv auf unser Zusammenleben auswirken können: Werte wie Demokratie, Freiheit, Menschenrechte und Diversität, für die wir stehen, sind in großer Gefahr."

"NRW ist gut aufgestellt"

Zwei Themen stehen im Mittelpunkt des Austauschs: die Zukunft der Antidiskriminierungsarbeit in NRW sowie die Unterbringung und die soziale Beratung Geflüchteter im Land. Franz Werfel, Leitung Stabsstelle Politik und Kommunikation der Diakonie RWL, stellt in seiner Moderation die Frage, inwieweit solche Aufgaben überhaupt umsetzbar seien angesichts der angespannten finanziellen Situation im Landeshaushalt.

"Migration ist eine Realität unserer Zeit", sagt dazu Josefine Paul. "Gerade angesichts der vielen Krisen und Kriege und der daraus resultierenden Fluchtbewegungen ist es unsere humanitäre Verantwortung, den betroffenen Menschen Schutz zu gewähren. Die Frage der Migration geht aber über den Schutz hinaus. NRW ist auf Migration angewiesen, um Zukunftsfähigkeit und Wohlstand unserer Gesellschaft dauerhaft zu sichern. Migration zu steuern bedeutet daher auch, Integrations- und Teilhabeprozesse gut zu organisieren. Nordrhein-Westfalen ist dabei gut aufgestellt."

Gegen Diskriminierung

Aber in vielen Bereichen gebe es weiterhin Entwicklungsbedarf, so die Kritik des Fachverbands Flucht und Migration. Gerade in Sachen Antidiskriminierungsarbeit ist die Forderung der Diakonie RWL deshalb klar: Das im Koalitionsvertrag angekündigte Landesantidiskriminierungsgesetz soll endlich umgesetzt werden und landesweite Standards setzen. Außerdem soll das Gesetz von einer Antidiskriminierungsstelle des Landes begleitet werden. "Das Gesetz ist bitter nötig, um Lücken im Diskriminierungsschutz in NRW zu schließen", berichtet etwa die Mitarbeiterin einer Integrationsagentur in Düsseldorf. An öffentlichen Schulen beispielsweise greife das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz nicht. Andere berichten von Alltagsrassismus bei der Wohnungssuche und bei Behörden – "die Menschen werden weder gesehen noch gehört".

Gesetz wird kommen

Eine Beobachtung, die Ministerin Paul teilt: "Die Grenzen des Sagbaren haben sich in den vergangenen Jahren verschoben. Ausgrenzende Formulierungen und Diskriminierung werden leider immer normaler. Deshalb müssen wir Strukturen schaffen, die dem entgegenwirken." Auf die konkrete Frage, ob und wann das Landesantidiskriminierungsgesetz komme, antwortet Josefine Paul: "Die regierungstragenden Parteien haben sich in ihrem Koalitionsvertrag auf die Schließung von Schutzlücken durch ein Landesantidiskriminierungsgesetz verständigt. Zur Ausgestaltung und Umsetzung ist der Willensbildungsprozess aber noch nicht abgeschlossen." Eine sperrige Antwort, die Moderator Werfel so kommentiert: "Ich deute das als ein Ja."

Recht auf Beratung

Kritik aus den Reihen der Fluchtexpert*innen gibt es auch an der Unterbringungssituation Geflüchteter in Nordrhein-Westfalen und der Möglichkeit, die Menschen angemessen zu begleiten. "Die Notunterkünfte schießen wie Pilze aus dem Boden, aber es gibt dort oft keinerlei Betreuung für die Menschen. Sie haben Sprachprobleme, sie haben Angst, und sie sind überfordert mit den rechtlichen Fragen", schildert eine Mitarbeiterin die Situation in Herne und Mülheim. "Dabei haben die Geflüchteten ein Recht auf Beratung. Vieles läuft aber nur aufgrund unseres Engagements, denn wir können die Menschen ja nicht wegschicken." Doch eine Dauerlösung sei das nicht. Noch dazu seien viele Einrichtungen in einem mangelhaften Zustand. Auch hapere es oft an der Umsetzung des Landesgewaltschutzkonzeptes.

Integration ist das Ziel

"Zentrale Unterbringungseinrichtungen sind nicht der beste Ort, an dem Menschen sich lange Zeit aufhalten sollten – da sind wir uns alle einig", bestätigt Josefine Paul. "Landeseinrichtungen bilden die erste Struktur der Aufnahme und Unterbringung. Ziel ist es, die Menschen zügig dezentral in den Kommunen unterzubringen und zu integrieren. Die Kommunen brauchen aber angesichts der aktuellen Lage Unterstützung und die Möglichkeit der Abpufferung durch das Landessystem." Das zentrale Problem sei, dass das Landesaufnahmesystem innerhalb kürzester Zeit massiv ausgebaut werden musste. "Manches funktioniert nicht so gut, wie Sie sich und wie ich mir das wünsche. Aber wir arbeiten weiter daran, es sukzessive zu verbessern – und kommen hier auch Stück für Stück voran."

Migration sei ein komplexes Thema, so Paul weiter. Zu oft werde die Frage von Migration aber weniger differenziert als der Sachlage entsprechend nötig diskutiert. "Es geht hier ja um Menschen und deren individuelle Geschichten und Schicksale. Manche aufgeheizte Debatte wird den Herausforderungen im Zusammenhang mit Flucht und Migration daher nicht gerecht." Umso wichtiger seien der Einsatz und die vielfältigen Angebote der Freien Wohlfahrtspflege.

Im Dialog bleiben

Nach rund zwei Stunden endet ein ebenso kritischer wie konstruktiver Austausch mit dem Fazit: Alle Beteiligten werden weiterhin den Dialog suchen und sich gemeinsam dafür einsetzen, dass Nordrhein-Westfalen das bleibt, was es seit Jahrzehnten ist: ein Land, das maßgeblich durch Einwanderung geprägt ist und enorm davon profitiert.

Text: Verena Bretz, Diakonie RWL.  

 

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