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Was ist Wahrheit, worauf können wir vertrauen? Dr. Karsten Dittmann referiert über Verschwörungsmythen

Das „Männerfrühstück“ der evangelischen Kirchengemeinde Ibbenbüren konnte am 9. April 2022 nach der Corona-Pause wieder in eine neue Runde starten. Zum 19. Mal trafen sich die Teilnehmer im Gemeindezentrum blick.punkt, um sich zu informieren und miteinander ins Gespräch zu kommen.

Auf der Tagesordnung stand ein hochaktuelles und brisantes Thema. Dr. Karsten Dittmann, Pfarrer der Friedens-Kirchengemeinde Münster, referierte über „Erfundene Wahrheiten - Verschwörungsmythen gestern und heute“. Bereits in seiner Andacht stellte er interessante Fragen in den Mittelpunkt: „Was ist Wahrheit, was trägt uns im Leben, worauf können wir vertrauen?“

Im Johannesevangelium heißt es dazu: „Jesus antwortete Pilatus: Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit zeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der höret meine Stimme.“ Aus der Historie bekannte Gruppen, die mit Verschwörung in Verbindung gebracht werden, sind die Templer, Hexen und Illuminati. Und ein wichtiger Punkt ist der Antisemitismus. Juden wurden wegen der Ausbreitung der Pest und als Brunnenvergifter verfolgt. Auf das antisemitische Pamphlet „Die Protokolle der Weisen von Zion“ beriefen sich unter anderem die Nationalsozialisten, obwohl Historiker den Text bereits in den 1920er Jahren als böswilliges Phantasieprodukt entlarvt hatten.

Nach dem Frühstück erklärte Dr. Dittmann in seinem spannenden Vortrag die Mechanismen der Entstehung und Verbreitung von Verschwörungstheorien, -ideologien und -mythen. Er arbeitete detailliert die Unterschiede heraus. Bei Theorien sei es erforderlich, den Wahrheitsgehalt zu prüfen. Ideologien suggerieren zum Beispiel, dass gesellschaftliche Organisationen wie EU, NATO oder die Bill-Gates-Stiftung geheime Veränderungen der Weltordnung planen. Mythen hätten keinen realen Hintergrund, so der Referent. Dies gelte auch für die Behauptung, dass Außerirdische als „Echsenmenschen“ (Reptiloide) die Menschheit unterwandern und versuchen, sie zu unterjochen. In der PowerPoint-Präsentation zeigte Dr. Dittmann ausgewählte Beispiele dieser Mythen.

Hinweise auf die Rolle von Glauben und Religion waren im Gesamtkontext des Vortrags ebenfalls Thema. Um die Entstehung von Mythen zu erläutern, griff Karsten Dittmann auf das Buch „Die Spinne in der Yucca-Palme“ zurück. Der Autor Rolf Brednich hat darin „absolut wahre“ sagenhafte Geschichten zusammengetragen, die verdeutlichen, wie solche Horrormärchen Vorurteile vertiefen. Egal, wie abstrus die Geschichten sind – sie schüren Ängste, verunsichern und infiltrieren die Bevölkerung mit Propaganda, die - wie aktuell in Russland zu beobachten - nicht selten auf fruchtbaren Boden fällt. Die Wirkkraft von Mythen liege seiner Meinung nach in der Schaffung von Identität, einhergehend mit der Abgrenzung zu anderen Gruppen. Die Mythen würden den Menschen einfache Erklärungen vermitteln, sie manipulieren und ihr eigenes Handeln legitimieren.

Es entspann sich eine rege Diskussion, bei der auch kontroverse Meinungen zur Sprache kamen. Ein Kernpunkt war die Frage, wie es gelingen kann, mit Verschwörungstheoretikern oder Coronaleugnern vernünftig zu sprechen, da sie in der Regel rationalen Argumenten nicht zugänglich seien. „Überreden klappt nicht, es helfen nur Gespräche“, betonte der Referent. Die Kirche sollte Gesprächsräume bieten, ohne jemanden zu diffamieren oder zu verteufeln“, sagte Pfarrer i.R. Reiner Ströver.

„Früher nannte man das Dorfklatsch oder Stadtgespräch“, sagte ein Teilnehmer. Neu sei heute allerdings die Verlagerung aus dem Nahbereich in das Internet, wo Quellen nicht mehr überprüfbar seien und die Glaubwürdigkeit völlig verloren gehe, so Dr. Dittmann. „Wir müssen insgesamt kritischer werden, forderte einer der Anwesenden. Gesunde Skepsis sei angebracht bei Schwarz-Weiß-Malerei, klaren Schuldzuweisungen, Verleumdungen, Bedrohungen, Gewalt und nicht zuletzt gegenüber eigenen moralischen Reflexen. „So klug Sie auch sind: Sie sind nicht frei von Ängsten, Vorurteilen und Ressentiments!“ gab der Referent den Zuhörern mit auf den Weg.

Text: Brigitte Striehn

 

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